Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
Vom Netzwerk:
einzuschätzen, welche Emotionen eine ehrliche Person empfinden mag, wenn sie der Lüge bezichtigt wird.
    Nicht jeder Verdächtige hat jedem Lügenermittler gegenüber eine ausgeprägte Erwartung, und nicht alle Verdächtigen haben dieselbe. Nehmen wir an, der Verdächtige hat Zugang zu geheimem Material und ist beobachtet worden, wie er sich mit Personen zusammentut, die das FBI als Sowjetspione einstuft. Der Verdächtige muss niemals in Kontakt mit einem bestimmten oder beliebigen FBI-Agenten gewesen sein. Trotzdem kann er Einstellungen gegenüber dem FBI haben, die man berücksichtigen sollte. Wenn er glaubt, dass das FBI niemals Fehler macht und vollkommen glaubwürdig ist, dürfen Anzeichen für Angst nicht ignoriert werden, sondern können als Furcht vor Entlarvung interpretiert werden. Ist er jedoch überzeugt, das FBI handele unangemessen oder versuche, Leuten etwas anzuhängen, können Anzeichen für Angst ausgeschlossen werden, denn es könnte sich dabei eher um die Angst handeln, keinen Glauben geschenkt zu bekommen, als um die Furcht, erwischt zu werden. Der Lügenermittler muss das Anzeichen für eine Emotion als einen Täuschungshin weis ausschließen, wenn der Verdächtige aufgrund seiner Erwartungen dieses Gefühl hat, auch wenn er ehrlich ist.
    Bis jetzt ging es nur um die Verwirrung, die von den Gefühlen der ehrlichen Person verursacht wird, die man der Lüge bezichtigt. Ihre emotionalen Reaktionen können auch zur Verdeutlichung statt zur Verwirrung beitragen und helfen, die glaubwürdige Person vom Lügner zu unterscheiden. Verwirrung kommt ins Spiel, wenn sowohl der Ehrliche als auch der Lügner mit derselben Reaktion auf Verdächtigungen reagieren. Klarheit entsteht, wenn ihre Reaktionen sich tendenziell unterscheiden. Manche Menschen reagieren mit völlig anderen Gefühlen auf den Verdacht, wenn sie die Wahrheit sagen, als wenn sie lügen würden.
    Beim Beispiel des Winslow Boy standen dem Vater viele Informationen zur Verfügung - er kannte die Persönlichkeit seines Sohnes und die Geschichte ihrer Beziehung -, was ihm erlaubte, eine Einschätzung abzugeben, wie Ronnie sich vermutlich fühlen würde im Fall, dass er die Wahrheit sagte, und im Fall, dass er log. Er wusste, dass sein Sohn weder ein geborener Lügner noch ein Psychopath war. Auch litt er nicht unter übermäßigen Schuldgefühlen und war nicht asozial. Deshalb musste Ronnies Schuldbewusstsein beim Lügen groß sein. Wie erwähnt, war in Ronnies Situation eine Lüge gleichbedeutend mit der Leugnung eines Diebstahls, falls er ihn tatsächlich begangen haben sollte. Der Vater kannte Ronnies Charakter und wusste, dass er Schuldgefühle wegen des Verbrechens haben würde, unabhängig davon, ob er log oder die Wahrheit sagte. Falls er also tatsächlich gestohlen haben sollte und versuchte, es geheim zu halten, müssten ihn eigentlich zwei Quellen starker Schuldgefühle verraten: das schlechte Gewissen beim Lügen und das Schuldgefühl wegen des Verbrechens, das er verheimlichte. Sollte Ronnie die Wahrheit sagen, wenn er den Diebstahl abstritt, brauchte er auch keine Schuldgefühle zu haben.
    Der Vater wusste außerdem, dass sein Sohn ihm vertraute. Aufgrund ihrer Beziehung verließ sich Ronnie auf die Behauptung seines Vaters, er würde seinem Sohn glauben, wenn er die Wahrheit sagte, und brauchte daher keine Angst zu haben. Um die Furcht vor der Entlarvung zu erhöhen, behauptete sein Vater - wie ein Bediener des Lügendetektors -, unfehlbar zu sein. «... wenn du mich anlügst, werde ich es herauskriegen, weil eine Lüge zwischen dir und mir nicht verborgen bleibt. Ich werde es rauskriegen, Ronnie - denk daran, bevor du den Mund aufmachst.» Daher musste Ronnie Angst davor haben, beim Lügen erwischt zu werden. Schließlich bot ihm der Vater Straffreiheit bei einem Geständnis an: «Wenn du es getan hast, musst du es mir sagen. Ich werde dir nicht böse sein, Ronnie - vorausgesetzt, du sagst mir die Wahrheit.» Mit dieser Feststellung erhöhte der Vater obendrein den Einsatz - das, was auf dem Spiel stand. Sollte Ronnie lügen, wäre er der Wut seines Vaters ausgesetzt. Wahrscheinlich hätte sich Ronnie ziemlich geschämt, wenn er gestohlen hätte, was ihn womöglich doch noch von einem Geständnis hätte abhalten können. Sein Vater hätte sagen sollen, wie verständlich es ist, dass ein Junge der Versuchung kaum widerstehen kann, aber dass es das Wichtigste sei, ein Vergehen nicht zu verheimlichen, sondern es zu gestehen.
    Nachdem

Weitere Kostenlose Bücher