Ich weiß, ich war's (German Edition)
Sehnsucht nach Nicht-mehr-Erlebbarem. Aber jetzt scheinen die Dinge und die Menschen wie von selbst zu verschwinden. Manche sind noch da. Als Erinnerung. Aino sagte vor ein paar Tagen: Vielleicht braucht Gott dich. Und das sagt sie, die nicht so große romantische Geschichten denkt.
Die Tournee mit »Via Intolleranza« war gut, aber sehr belastend. Ich habe viel gekämpft, alleine, überfordert, viele Menschen beleidigt und gequält. Und nun hat der Krebs also zwei Nackenwirbel aufgefressen. Mein nächster Horror. So viele Bilder des Horrors haben mein Leben begleitet. Produziere ich diese Bilder selbst oder ziehe ich sie an? Was passiert als Nächstes denn noch? Hirntumor? Die tumben Menschen um mich herum sind schon nicht mehr so schlimm. Sie verschwinden zum großen Teil, als hätte ich diesen Teil schon durchlaufen. Als würden Boote mit Familien drin an mir vorüberfahren. Bei uns im Hof schreien die Kinder nonstop, Eis lutschend, in Sommerkleidchen. Und die Eltern lachen über Sätze, die ich nicht verstehe. Die Kinder wollen gelobt werden: Gut gebaut, gut gekackt, Bonbon gegessen. Ich verstehe so vieles nicht mehr. Und die Spatzen haben ihre Mäuler so weit aufgerissen. Wollen Sie mir etwas zurufen? Mich warnen? Oder verspeisen? Ich habe Hunde gesehen, die sind heute Morgen vor solchen Spatzen weggelaufen.
Kann ich Gott um Aufschub bitten, auch wenn ich ahne, dass es wirklich nicht mehr allzu lange dauern wird? Aufschub für Burkina? Aber selbst da hänge ich doch so komisch unentschieden rum. Würde Gott es mir erlauben, wenn ich wieder mehr Schwung reinlegen würde? So aber sehe ich nur Wegfahrende in großen Booten. Alles in grellem Weiß. Die Frage nach dem Warum dieses Projekts weicht inzwischen der Frage: Warum bringst du es nicht mehr nach vorne? Was ist mit dir? Doch zu viel Gutmenschentum? Zu viel heroisches Gefühl?
Gibt Gott Befehle? Oder wer könnte Befehle geben?
Zu denken, man könnte Sterben lernen, war anmaßend, finde ich inzwischen. Sogar sehr anmaßend. Ich bin nun mal kein Lehrer auf diesem Gebiet. Und ich will da auch nichts lernen. Ich weigere mich. Zumindest versuche ich es. Und Gott ist mir wichtig! Er ist einfach da. Er war nie interessant, wenn ich mich vor ihm hinknien sollte. Dann war er meist nur ein Bild, das nicht stimmte. So kam es mir vor, aber vielleicht war das nur Ausdruck meiner Faulheit? Macht Faulheit Krebs? Vielleicht sollte ich doch noch anfangen zu saufen.
Oft heule ich schon beim Aufwachen. Ich kann nicht so einfach Abschied nehmen, will es auch nicht. Auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, dass es doch so sein wird. Irgendwann sowieso, aber momentan zersprengt es alles. Auch mein Team, das ich so gerne beschützen würde. Die sind deshalb so toll, weil sie so oft aus Liebe mitgegangen sind. Bei »Via Intolleranza« haben sie für ein Drittel oder ein Viertel ihrer normalen Gagen gearbeitet. Aus Liebe zu mir, und damit Geld fürs Operndorf übrig bleibt. Dagegen bin ich doch ein mieser Furz! Zumal ich die letzten Monate schon durch verschiedene Persönlichkeitsveränderungen im Negativen gegangen bin.
Es ist alles so grauenhaft. Ich schaue morgens in einer kleinen Kabine in den Spiegel und gehe dann in einen Raum mit Betontüren, die hinter mir geschlossen werden. Und wenn ich von den Bestrahlungen zurückkomme, sehe ich lieber nicht in den Spiegel. Aber ich kann es nicht immer verhindern und dann sehe ich da einen zermergelten Typen, der sich nur noch selten aushalten kann. Ich spiele immer öfter mit dem Gedanken, mich wie ein alter Elefant von der Truppe zu entfernen und alleine zu sterben, weil ich mit meinem Gequäle keinen Schaden anrichten will, der nach meinem Tod alles in den Dreck zieht. Dabei haben wir alle viel zu oft an ganz wunderbaren Dingen gearbeitet und auch sonst sehr schöne Wege beschritten. Und nun will ich nicht quälen, aber auch noch nicht sterben. Und nichts zerstören, denn nicht alles war schlecht. Ich hoffe und hoffe, durch die Kraft von Aino und meiner Freunde!
Mir kommt das Leben hier immer merkwürdiger vor. Gerade jetzt, wo ich wirklich sehr angeschlagen bin, merke ich, wie verlogen und hinterhältig manche Leute sind. Ich stand fast zitternd vor Schmerzen beim Bioladen an der Theke – und dann stürmt Frau Superöko ran und zack, schon fragt sie nach jedem Fleisch, nach jeder Wurst: Was ist das? Und was ist das da? Da habe ich dann gesagt: Ich bin völlig fertig, mir tut alles weh, ich möchte 120 Gramm Rindfleisch. Da war
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