Ich Will Ihren Mann
widersprach sie aufgeräumt.
»Und ich verspreche dir, daß ich mich an die gutbeleuchteten Straßen halten werde.«
»Wie du willst, solange ich nicht mitgehen muß«, sagte er. Lilian hielt ihm die Tür auf. »Also dann bis sieben«, rief Irving und verschwand im Restaurant. »Und sei vorsichtig!«
Lilian blieb einen Moment lang unschlüssig stehen. Erst als sie sich zum Gehen wandte, merkte sie, wie kalt es war. Warum ist mir das vorhin denn nicht aufgefallen? Sie wußte nicht, wohin. Unschlüssig überquerte sie die Straße. Der Wind peitschte ihre Wangen und drückte ihr den Kragen fest in den Nacken. Ihre Augen brannten vor Kälte, und ihre Nase lief. Auch das noch, dachte sie und wischte sich die Nase mit der behandschuhten Rechten. Geh weiter, befahl sie sich und vergrub beide Hände tief in den Manteltaschen. Beweg dich!
Was hab' ich überhaupt bei dieser Vorführung zu suchen? Ich hab' David doch versprochen, daß ich beim Fernsehen Schluß mache. Nein, das stimmt nicht ganz. Sie hatte ihr Versprechen unter der Bedingung gegeben, daß er Nicole aufgeben würde. Und darauf hatte er sich nicht eingelassen. Ich weiß immer noch nicht, was aus uns werden soll, darum bin ich hier. Und was ist, wenn den Sponsoren, den Auftraggebern und der Intendanz die Sendung gefällt? Wenn sie mir wieder einen Posten anbieten? Was dann? Soll ich denen antworten: Ich kann mich noch nicht entscheiden, ich muß erst abwarten, ob mein Mann sich von seiner Geliebten trennt?
Und wenn er sie nun wirklich aufgibt, wenn er heute abend zur Tür hereinkommt und erklärt, daß ich ihm mehr bedeute als Nicole, mehr als jede andere Frau auf der Welt, was dann? Wie würde ich reagieren? Mein Gott, kann ich wirklich auf alles verzichten? Schaff ich es, weiter bis zum Hals in Frust und Vorwürfen zu stecken, nachdem ich den rettenden Anker in Reichweite hatte und leichtfertig daran vorbeigegangen bin? Soll ich mich wirklich hundert Jahrelang in einen Elfenbeinturm einsperren lassen, bloß, weil mich einmal ein Prinz geküßt hat?
Sie bog in die State Street ein und ging eilig an den erleuchteten Schaufenstern vorbei.
»Chicagos Stunde« war gelungen. Sie wußte, daß es eine gute Sendung war. Meine Reportage ist möglicherweise die beste, die ich je gemacht hab'. Sie hatte das Thema mißhandelter Frauen, die sich an ihren Männern rächen, von allen Seiten beleuchtet, und wenn sie letztendlich auch keine einfachen Antworten bieten konnte, so würde sie jedenfalls beunruhigende und provozierende Fragen über den Äther schicken. »Diese Sendung handelt von der Angst«, hörte sie die Stimme des Sprechers intonieren. »Es geht um die Angst Tausender mißhandelter Ehefrauen und um Männer, die ihnen Leid zufügen und die nun erleben müssen, daß ihre Frauen zurückschlagen, oft mit tödlichen Folgen. Und um die Angst vieler, die befürchten, daß diese unerwartete Entwicklung dem alten Spruch, Frauen könnten morden, ohne überführt zu werden, eine völlig neue Bedeutung verleiht.«
Lilian seufzte zufrieden. Plötzlich fühlte sie etwas Nasses auf ihren Wangen. Als sie aufblickte, sah sie Schneeflocken in der Dunkelheit tanzen. Einem kindlichen Impuls folgend, öffnete sie den Mund und fing ein paar Flocken mit der Zunge. Sie schmolzen sofort. Überrascht stellte sie fest, daß sie sich auf den Winter freute, obgleich sie diese Jahreszeit immer am wenigsten gemocht hatte. Vielleicht kaufe ich mir dieses Jahr ein Paar Schlittschuhe. Sie erschrak über ihren eigenen Gedanken, denn ihre Versuche, Schlittschuhlaufen zu lernen (und der letzte lag immerhin schon zwanzig Jahre zurück), hatte sie mit zwei gebrochenen Handgelenken bezahlt. (»Man hätte dir erklären sollen, daß man nicht auf den Händen Schlittschuh läuft«, hatte Beth Weatherby irgendwann einmal zu ihr gesagt.) Sie dachte an Beth, während sie gegen den Nordwind ankämpfte und auf die Michigan Avenue zustrebte. In letzterZeit war sie so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, daß sie ihre Freundin vernachlässigt hatte. Als sie auf der anderen Straßenseite eine Telefonzelle entdeckte, rannte sie blindlings über die Fahrbahn, gefolgt von einem wütenden Hupkonzert. Doch sie blickte sich nicht um. Sie zog es vor, nicht zu wissen, wie knapp sie dem Tode entkommen war. In den letzten Wochen hatte sie einen sträflichen Leichtsinn entwickelt. Es war fast, als wollte sie die Entscheidung über ihr Leben absichtlich anderen überlassen. Sie fischte etwas Kleingeld aus ihrer
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