Ich Will Ihren Mann
Halle. Apartment 815, wiederholte sie in Gedanken, während sie zu dritt den Aufzug betraten. Die beiden Alten stiegen im vierten Stock aus. Die Türen schlossen sich hinter ihnen, und der Lift brachte Lilian lautlos an ihr Ziel in der achten Etage. Sie wandte sich nach rechts, merkte an den Nummern auf den Eingangstüren, daß sie die falsche Richtung eingeschlagen hatte, und kehrte um. Die Koffer wurden ihr auf einmal schwer, so als würde sie sich erst jetzt ihres Gewichts bewußt. Sie setzte sie ab, um zu verschnaufen. Plötzlich überfiel sie eine panische Angst. »In Panik gerät man nur, solange man nicht weiß, was man zu tun hat«, hörte sie wieder Beths Stimme. »Sobald die Entscheidung gefallen ist, kommt man zur Ruhe.« Sie wußte, daß es nicht so einfach war. Sie brauchte bloß daran zu denken, wie sie nachher in ihre leere Wohnung zurückkehren würde, mit der Gewißheit, daß David endgültig fort war. Aber so wie jetzt durfte es nicht bleiben.
Sie hob die Koffer auf und machte sich entschlossen auf die Suche nach Apartment 815. Als sie die Nummer gefunden hatte, blieb sie stehen, setzte das Gepäck wieder ab und überlegte, was sie sagen sollte, wenn man ihr die Tür öffnete. Vielleicht brauche ich gar nichts zu sagen. Wenn sie die Koffer sehen, werden sie schon wissen, weshalb ich gekommen bin.
Ich könnt's ja mit Humor versuchen, dachte Lilian benommen. Ihr schwindelte. Hallo, ihr beiden. Hab' gehört, hier ist 'ne Mordsstimmung. Na, und da dachte ich mir, zieh doch rüber.
Und wenn David nun schon auf dem Heimweg ist? Angenommen, er hat grade mit Nicole Schluß gemacht, und wir beide sind da draußen unbemerkt aneinander vorbeigefahren? Fremde in der Nacht, dachte sie. Sie drückte auf den Klingelknopf. Drinnen rührte sich nichts. Dann, endlich, öffnete sich die Tür. In einem weißen Velours-Bademantel, ein Handtuch um den Nacken geschlungen, stand Nicole Clark auf der Schwelle. Wassertropfen schimmerten in ihrem Haar. Eine Siamkatze strich scheu um ihre Beine. »David ist unter der Dusche«, sagte sie nach einigem Zögern und stieß die Katze mit dem Fuß in die Wohnung zurück. Lilian spürte, wie ihr Hals sich zusammenschnürte und ihre Nase zu jucken begann. (»Ich bin Nicole Clark. Ich will Ihren Mann heiraten.«) »Hier sind die meisten von Davids Sachen«, erklärte sie leise und kämpfte gegen den Niesreiz an. »Den Rest kann er sich morgen abholen. Ich werde den ganzen Tag außer Haus sein. Mein Anwalt wird sich in den nächsten Tagen mit ihm in Verbindung setzen«, sagte sie und überlegte krampfhaft, wer um alles in der Welt ihr Anwalt war. »Es wäre mir lieber, wenn David mich nicht persönlich anruft.«
Die beiden Frauen tauschten einen langen, forschenden Blick.
Sie sieht sogar ohne Make-up gut aus, dachte Lilian. Die Katze hatte sich wieder herangeschlichen und leckte gierig an Nicoles feuchten Beinen. Nicoles zweiter Zeh ist länger als der große, und genau unterm Nagel hat sie 'n Mordshühnerauge, stellte Lilian erfreut fest. Sie hat häßliche Füße! Sie sah auf in Nicoles verwirrtes Gesicht und lächelte. Zum erstenmal entdeckte sie einen Leberfleck genau unter der Unterlippe der Jüngeren. Vielleicht war er schon immerdagewesen. Aber vielleicht war er auch erst in der letzten Zeit erschienen, um dadurch die Sterblichkeit der anderen zu bezeugen.
»Ich versteh' nicht«, stammelte Nicole. »Sie geben auf?« Sie zögerte und schaffte im Geiste die Koffer in ihr Apartment. »Heißt das, ich hab' gewonnen?«
Lilian straffte die Schultern. Sie spürte, wie ihr Hals frei wurde. Sie konnte wieder ungehindert atmen, und auch der Niesreiz war verschwunden. »Ich denke, das kommt ganz drauf an, was Sie unter Gewinnen verstehen«, antwortete sie, machte kehrt und ging mit schnellen Schritten zum Aufzug zurück. Obwohl sie wußte, daß Nicole ihr nachblickte, war sie zum erstenmal seit vielen Monaten sicher, daß sie nicht über ihre eigenen Füße stolpern würde.
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