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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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angehängtem, hohem, fest geschlossenem Kohlentender. Auf den Kohlen saßen, im Lokomotivstand standen eine Unmenge Soldaten (von Hof her), ein paar junge Kerle kletterten wie die Affen im Nu, von ihren Kameraden unterstützt, auf den Kohlentender, es war ein Gewirr und Geschrei, ich brüllte meinen Kapo an, der seinerseits eine hilflose Figur machte, und schon setzte sich die Lokomotive wieder in Bewegung, und die Nichtmitgekommenen zogen resigniert ab. Ich wütete gegen den Kapo, aber davon wurde nichts anders, und um zwei Uhr etwa nahmen wir also unsere Fußwanderung wieder auf.
    Der zehnte Tag, Montag, 4. Juni, führte also von Feilitzsch nach Magwitz.
    Am elften Tag, Dienstag, dem 5. Juni, brachen wir spät, erst um acht Uhr, auf, Eva mit gewaschenem Haar, ich rasiert.
    Einmal nahm uns nach langer Zeit wieder ein Pferdewagen mit, einmal, im Gasthaus Tirpersdorf , fanden wir nicht nur eine große Kanne Kaffee, sondern auch ein süddeutsches Nachrichtenblatt, die »Hessische Post« vom 26. Mai. Der eigentliche Schlußakt des Krieges ist uns ja bis auf den heutigen Tag dunkel geblieben.
    Um halb neun waren wir in Falkenstein . Scherners Apotheke war leicht angeschlagen, ihr Privathaus schwerer. Geschützfeuer der Amerikaner, wie wir später erfuhren. Wir riefen und klatschten vor dem verschlossenen Haus. Trude Scherner öffnete, er selbst war mit seinem »Uhlmännchen« auf Wareneinkauf nach Leipzig gefahren, er kam um zehn, als wir gerade aufbrechen wollten, triumphierend zurück, er hatte, statt für die bewilligten 200, für 10 000 M einkaufen können, er war jetzt nach der völligen Zerstörung der anderen Apotheke sozusagen Monopolinhaber. Große Herzlichkeit, große Bewirtung, vieles Durcheinandererzählen,und erst um elf, der hier gültigen Sperrstunde, lagen wir auf unsern alten Ruhestätten im Privatkontor der Apotheke. Dort war das Hitlerbild verschwunden und durch eine Landschaft ersetzt.
    Dies war der elfte Reisetag, der letzte der zweiten Phase (Regensburg–Falkenstein), die Strecke Magwitz–Falkenstein, Dienstag, 5. Juni.
    Am Mittwoch sah alles anders aus. Buchstäblich der nackte Hunger trieb uns, Falkenstein so rasch als möglich zu verlassen. Scherners hatten uns am Einzugsabend mit einer vorhandenen Kartoffelmahlzeit satt gemacht. Aber nun hatten sie kein weiteres Bröckchen übrig. Auf dem Rathaus erhielten wir wohl Marken, aber auf die Marken war nichts einzukaufen, Brot ausverkauft, Butter seit langem nicht zu haben etc. etc.
    Ich ging auf Scherners Rat noch zu einem Rechtsanwalt Reichenbach, a half Jew oder ein ganzer, Vetter jedenfalls – wie sich herausstellte – unseres unglücklichen Dresdener Reichenbach, seit der Umwälzung auf hohem Verwaltungsposten. Er nahm mich sehr gut auf und versprach, uns am nächsten Morgen nach Auerbach zu bringen, mir dort auch behilflich zu sein.
    Dies der zwölfte Tag, Mittwoch, 6. Juni, ganz in Falkenstein verbracht.
    Donnerstag, den 7. Juni, recht bedrückter Aufbruch von Falkenstein, im Grunde ging es ja wieder ins Ungewisse. Der Anwalt kam mit einem Begleiter im schönsten Automobil, brachte uns in wenigen Minuten nach Auerbach, ließ uns aber dort eine reichliche Stunde vor irgendeiner Amtsstelle warten. In der Zwischenzeit kam er einmal heraus, drin befinde sich ein russischer Offizier, vielleicht werde der uns weiterhelfen. Aber dann, nach einer Stunde, hieß es, leider sei alles umsonst, die Kommandantur lasse niemanden in das angrenzende Niemandsland und in die russische Zone hinüber, das vernünftigste sei, ich kehrte gleich mit ihm, Reichenbach, nach Falkenstein zurück. Als ich mich dagegen erbittert wehrte, meinte er, er wisse freilich von vielen, die heimlich und auf eigene Faust hinübergekommenseien, und nach einer Pause, er könne auch einmal versuchen, ob ich auf der Kommandantur nicht vielleicht doch einen Paß bekäme. Wir fuhren also dorthin. Es war großes Gewimmel in vielen Zimmern, Reichenbach kannte gleich das richtige Loch und die richtige Dolmetscherin. Die Dolmetscherin verwechselte mich einigermaßen mit Otto Klemperer und machte einen »Musikprofessor« und Besitzer einer Farm bei Dresden aus mir. Nach einigem Warten erhielt ich denn auch meinen Passierschein, den ich nicht ein einziges Mal gebraucht habe. Ich weiß nicht, wo das berüchtigte Niemandsland, ich weiß nicht, wo die eigentliche russische Zone begann, ich bin weder von Soldaten noch von Plünderern im geringsten belästigt worden … Den Paß hatten wir und

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