Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Cardella
Vom Netzwerk:
Sauberkeit, der in die Irre führen mußte, und das nützten wir aus, um meisterliche Treffer zu landen. Unter den Augen der Ladenbesitzer klauten wir riesige Schachteln Pralinen und kandierte Früchte, ohne jegliche Gewissensbisse oder Scham: Während eine dem Ladenbesitzer schöntat, griff die andere nach der Beute. Wir gingen ruhig nach draußen, machten ein paar Schritte und dann ab die Post zur Kleinen Villa, um die Früchte unserer Arbeit zu genießen. Ich habe viele andere Male Pralinen und kandierte Früchte gegessen, aber nie mehr haben sie so geschmeckt.
Also, ich konnte nicht mehr mit gleichaltrigen Jungen, meinen Spielkameraden, nach draußen gehen, weil die Maske der Unschuld fehlte: Jetzt konnte jede Geste zweideutig sein, jedes Wort mißverstanden werden, und das gemeinsame Baden der Nackedeis beiderlei Geschlechter war eine ferne Erinnerung.
Das Schlimmste war, als ich zum ersten Mal meine Menstruation bekam. Bei uns ist es Gewohnheit oder, besser gesagt, Tradition, denn hier lebt man von Traditionen, die ganze Verwandtschaft an diesem Ereignis teilhaben zu lassen. Eine Tradition, über deren Geschmack sich streiten läßt, und über deren Takt sich noch mehr streiten läßt. Mit meinen Spielkameraden hatte ich über die cose , die »Tage«, gesprochen, wie es ist, signurina zu werden, über den Busen, der größer wurde, und über die Monatsbinden, und wir hatten darüber gelacht.
Ich wusch mich gerade im Bidet, als ich sah, wie das Wasser rot wurde. Ich rief meine Mutter, sagte es ihr und freute mich schon auf ihre verlegenen Erklärungen. Meine Mutter fragte mich mit niedergeschlagenen Augen: »Weißt du, was das bedeutet?«, und ich antwortete mit einem kleinen Lächeln, aber unschuldigem Getue: »Nein.«
Sie sagte: »Komm, du weißt es doch«, und ging wieder. Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Uhrzeit des Ereignisses, aber es muß spätabends gewesen sein. Am Morgen darauf war unser Haus eine Art Warteraum geworden: Es sah aus wie bei einer Totenwache. Wenn da nicht die zweideutigen Blicke und das verschmitzte Lächeln gewesen wären, hätte ich mich wirklich um das Wohlergehen eines meiner Verwandten gesorgt. Aber so begriff ich gleich, daß diese Besuche und Aufmerksamkeiten mir galten, und da ich nicht gestorben war, schloß ich daraus, daß meine Mutter die ganze Einwohnerschaft in Kenntnis gesetzt hatte. Einen Augenblick lang dachte ich an meine Mutter, und mir kam das Bild der vanniatori , der Ausrufer, in den Sinn, Männer, die man dafür bezahlte, wenn man ein Kind verlor, damit sie durch die Straßen des Dorfes gingen und den Namen des verlorenen Kindes ausriefen. Dann wurden lauter Hände gedrückt, erstickende Umarmungen getätigt und dauernd gelächelt, »alles Gute« und Glück gewünscht. Und ich, rot vor Scham, teilte in alle Richtungen ein »Dankeschön« aus.
Natürlich war mein Vater, wie alle Männer, der einzige, der sich nicht zur Sache äußerte, der kein Wort darüber verlor und Gesprächsthemen mied, die auch nur entfernt mit diesem Thema zu tun haben konnten. Nicht aus Takt oder aus Rücksicht mir gegenüber, versteht sich, sondern weil das Dinge waren, die Männer nichts angingen.
Ich fühlte mich in keiner Weise verändert. Außerdem war mein Busen gar nicht größer geworden; die Büstenhalter, die mir die verschiedenen Tanten traditionsgemäß geschenkt hatten, wurden in die Truhe verbannt, wo schon die Aussteuer bereitlag, seit ich fünf war. Die einzige Neuigkeit war, daß mich wieder der Wunsch gepackt hatte, Hosen anzuziehen.
Ich trug diese Bitte meiner Mutter vor, und ihre unschuldig gegebene Antwort revolutionierte mein Leben einer Heranwachsenden. Sie sagte zu mir: » I pantaluna falli purtari e masculi e e buttani . Hosen laß mal Männer und Nutten tragen.«
Weil ich kein Mann werden konnte, beschloß ich, Nutte zu werden.
    Um verstehen zu können, wie ein Mädchen zur Nutte werden kann, muß man die Bedeutung des Wortes »Nutte« erklären. Bei uns ist eine Nutte nicht irgendeine Frau, die ihren Körper den Gelüsten eines reichen und anspruchsvollen Herrn überläßt; Nutte ist jede beliebige Frau, die in der Art, wie sie sich kleidet und wie sie sich gibt, sozusagen freizügig wirkt. Was nicht notwendig bedeutet, daß diese Frau von einem Bett ins andere hüpft, was, ehrlich gesagt, so gut wie nie vorkommt. Nutte ist nur ein Etikett, ein Passierschein für den Klatsch anderer, eine Art gutes Werk. Um diese letzte Behauptung verstehen zu können,

Weitere Kostenlose Bücher