Ich wollte Hosen
glücklich sein. Vielleicht amüsierte sie sich, aber sie war nicht glücklich, denn ihre Augen waren erloschen, und nicht einmal Komplimente konnten sie mehr zum Leuchten bringen.
Angelinas Feste wurden wegen der wenigen Mädchen und der vielen eitlen Gockel, die daran teilnahmen, als regelrechte Orgien angesehen. Ich konnte bei solchen Festen nicht mitmachen, ich konnte es nicht einmal wagen, meine Eltern darum zu bitten, weil ich wußte, was sie über Feste dachten und insbesondere über Angelinas Feste. Ich konnte nur davon träumen, von meinem Debüt in der Welt der Nutten, es mir ausmalen oder über irgendeine Lösung nachdenken, einen Notbehelf, irgendeine Ausrede, um wenigstens einmal daran teilnehmen zu können. Freilich, ich hatte kein passendes Kleid, aber Angelina hatte versprochen, mir eins zu leihen. Und ich dachte darüber nach, wie ich für ein paar Stunden aus diesem Gefängnis fliehen konnte, um mein Märchen zu erleben.
Die Leintuchmethode war ausgeschlossen: Sie würden mir sofort draufkommen. Man mußte an etwas leichter Durchführbares denken, und Angelina hatte die Idee. Sie würde zu mir nach Hause kommen, an einem Nachmittag, und mit meinem Vater sprechen: Sie würde ihn um Erlaubnis bitten, mich zu ihr nach Hause kommen zu lassen, um eine Materialsammlung für die Schule zu machen, weil es bei uns ja kein Lexikon gab.
Die Idee kam mir brauchbar vor, aber ich wollte nicht, daß Angelina zu mir nach Hause kam. Ich hatte eines Tages in der Schule ihre Eltern gesehen, sie waren sehr elegant; alle redeten von Angelinas wunderschöner Wohnung, von ihrem großen Salon mit Bildern an den Wänden und einem Kristallüster, und ich dachte an meine Mutter mit dem Haarknoten und den Kleidern meiner Oma, an meinen Vater mit seinem langen, von Erde verschmierten Hemd und an mein Zuhause ... das Schlafzimmer mit dem Ehebett in der Mitte, dem großen Schrank und der Truhe, die Küche mit dem Tisch an der Wand und vier Stühlen darum herum, dem Becken für die Teller, in dem wir auch die Wäsche wuschen, und dem Herd, der alle Wände verräucherte, dem engen Bad mit Vorhang, weil mein Vater die Tür mit der Schulter aufgebrochen hatte, als er einmal eingesperrt war, die Kloschüssel immer offen, weil der Deckel fehlte, die große Plastikwanne, in der wir uns wuschen, und schließlich die kleine Abstellkammer, in der mein Klappbett stand; glücklicherweise war mein Bruder in Deutschland, sonst hätten wir uns diesen kleinen Raum noch teilen müssen, wie wir es früher getan hatten.
Ich schämte mich für meine Familie, für meine Wohnung, für das, was ich war, und ich fürchtete, daß Angelina, wenn sie meine tägliche Umgebung sah, ihre Meinung ändern würde und mich nicht mehr in ihrer Nähe haben wollte. Ich konnte ihr das alles nicht erklären, die Demütigung ihres blendend weißen Kleids vor dem Hintergrund dieser durch den alten Ofen schwarz verräucherten Wände, denn meine Mutter bestand darauf, ihr Brot selber zu backen, weil man ja nicht weiß, was die Bäcker da reintun, heutzutage. Ich sagte meiner Mutter, an diesem Nachmittag würde Angelina kommen, und sie fiel über mich her, weil sie solche Leute nicht in ihrem ehrbaren Haus haben wollte. Ich gab ihr zur Antwort, daß der Lehrer mir Angelina als Kameradin zugeteilt habe, und sie schwieg, weil die Lehrer immer wissen, was sie tun, die sind intelligent und kennen die Leute besser als wir. Den ganzen Nachmittag bemühte sie sich, die Wohnung sauberzukriegen und zum Glänzen zu bringen, sie bohnerte sogar den Fußboden. Die Wohnung war wirklich sauber und glänzte, aber die Wände waren immer noch schwarz. Und Angelina kam in einem weißen Kleid mit Spitzen. Meine Mutter war zerzaust, müde und verschwitzt, ihr schwarzes Kleid war kürzer als der weiße Unterrock, aber Angelina schien nicht darauf zu achten. Ich hatte Angst, sie Platz nehmen zu lassen, obwohl meine Mutter die Stühle geputzt hatte, sie kamen mir immer noch zu schmutzig vor für dieses weiße, zu weiße Kleid. Und dann meine Mutter, die höflich sein wollte und ihr warmes Brot anbot, das gerade aus dem Ofen kam und ganz schwarz war, und Angelina, die mich verlegen ansah. Ich hätte verschwinden mögen, in dem Schwarz des Rauches aufgehen, einfach nicht vorhanden sein. Meine Mutter, die Dialekt sprach, und Angelina, die auf italienisch antwortete, und ich, die schwieg. Ich haßte meine Mutter; ich wußte, daß es nicht ihre Schuld war, und vielleicht haßte ich sie deshalb noch
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