Ich wollte Liebe und lernte hassen
habe. Die Namen sind fast alle geändert, aber sonst entspricht alles der Wahrheit …«
Und nach zwei weiteren Monaten kam dann zu meiner Überraschung mit einem Brief ein umfangreiches Manuskript, über 500 handgeschriebene Seiten, denen anzumerken war, daß es für den Schreiber ungewohnt war, sich auszudrücken und dies niederzuschreiben. Im Brief stand: »… Ich habe das ganze wie ein Buch geschrieben, da ich es besser so fand und es auch verständlicher ist. Es muß noch viel ausgebessert und geändert werden … Dann werde ich das Buch an einen Verlag schicken, denn ich möchte es veröffentlichen lassen. Wenn Sie mir dabei helfen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar …«
Ich kenne viele sogenannte Lebensläufe Jugendlicher, die sich mehr oder weniger mager an ihren äußeren Lebensdaten entlang hangeln und über das eigene Erleben so gut wie nichts enthalten. In dieser Erwartung ging ich zunächst auch an die Lektüre dieses Berichts heran. Anfangs noch etwas steif und holperig, dann aber von Seite zu Seite flüssiger geschrieben, sah ich mich bald gefangengenommen von der Ursprüng-lichkeit und Offenheit, vor allem aber vom Gewicht des kindlichen, jungenhaften Erlebens, wie da geschildert wird, wie ein Junge zwischen Hoffnung und sich immer wiederholender Enttäuschung hin-und hergerissen wird, wie er Verständnis sucht und abgewiesen wird, immer wieder, immer noch einmal.
Alle diese Erfahrungen haben sich bei ihm offenbar eingekerbt in seiner Erinnerung, so daß er sie dem Erleben entsprechend wiedergeben konnte, ja wohl mußte, um nicht daran zu ersticken.
Da Fritz Mertens mich gebeten hatte, ihm zu helfen, den Bericht zu einem Buch zu machen, zeigte ich ihn einer erfahre-nen Lektorin, die mir bestätigte, daß er unbedingt veröffentlicht werden sollte. Ich wandte mich an den mir bekannten Verlag und schrieb vorsichtig und anfragend. Offenbar war man dort wider Erwarten überrascht, gefangen und erschüttert. Ich selbst kenne keinen so spontanen, unmittelbaren, aus echter, eindeutiger Erinnerung heraus geschriebenen Bericht über die jahrelange Suche und Enttäuschung eines Kindes, die sein ganzes junges Leben bestimmten, bis zur Tat. Ihr fielen zwei Menschen zum Opfer, aus dem Augenblick heraus, aus einer Situation, aus der sie alle den richtigen Ausweg nicht finden konnten. Inzwischen hat die Hauptverhandlung vor der Jugendkammer eines Landgerichtes stattgefunden. Die Mutter war geladen, aber nicht erschienen. Sie machte von ihrem Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch. Aber die Großmutter war da. und berichtete. Und was dabei vom Leben des Jungen zur Sprache kam, jedes Mal bestätigte sie das, was der Bericht geschildert hatte, von dessen Existenz sie nichts weiß. Es war offenbar alles so, wie Fritz Mertens dies hier geschildert hat.
Das Gericht hat sich alles angehört, ausführlich, geduldig.
Fritz Mertens selbst machte nicht viel Worte. Der Bericht lag dem Gericht nicht vor, und ich habe nur das Grundsätzliche aufzeigen können. Das Gericht mußte ihn zu einer langen Jugendstrafe verurteilen. Fritz Mertens hatte damit gerechnet.
Eines ist mir wieder deutlich geworden: es ist nicht unser Verdienst, wenn wir nicht straffällig werden, wenn wir in unserem Leben niemand durch unsere Schuld töten.
Reinhart Lempp
Da der vorliegende Bericht möglichst in seiner authentischen Form belassen werden sollte, wurden vom Verlag lediglich orthographische Fehler korrigiert sowie ganz behutsam der Text, wenn das Verständnis nicht gewährleistet war.
Am 15.6.1963 bin ich geboren worden, nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause auf dem Sofa. So hat man es mir erzählt. Also ich bin Fritz, und versuche hier meine Lebensgeschichte zu erzählen, und das, was ich noch so alles von mir gehört habe, aber ich mich nicht daran erinnern kann, da ich noch zu klein war.
Nachdem mein Vater gehört hat, daß er einen Sohn bekommen hat, ist er bei uns in Villingen durch die Brigach geschwommen, ein kleiner Fluß in der Stadt und nicht gerade der sauberste. Vier Wochen nach meiner Geburt soll ich in ein Säuglingsheim gekommen sein, was ich heute nicht gerade als Nächstenliebe gegenüber seinem Kind empfinde. Wann ich da wieder rausgekommen bin, weiß ich nicht, und das hat mir auch keiner aus der Verwandtschaft bis heute erzählt. Also mein Vater hat mich dann wieder aus dem Säuglingsheim geholt, obwohl meine Mutter dagegen gewesen sein soll.
Danach sind wir irgendwann nach Würzburg gezogen, wo meine zwei
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