Ich zog mit Hannibal
an die niedrige Mauer und streckte die Füße gegen das Feuer hin aus. »Setz dich zu mir«, lud er Morik ein. »Hier ist es wärmer.«
Widerstrebend rückte der Junge näher. Über das Feuer weg, das beinahe niedergebrannt war, beobachtete er den Unbekannten, der einen trockenen Ast in die Glut schob. Sie flammte rasch auf.
»Auch ihr habt gegraben?«
»Über zwei Jahre haben wir hier ausgehalten, aber hier kann man nicht leben«, erwiderte Morik.
»Das wird jetzt anders«, versprach der Fremde. Er sah Morik aufmerksam an. »Warum traust du mir nicht?«
»Weiß ich, wer du bist?«, fragte der Junge mit verschlossenem Gesicht. Der alte Mann überhörte den Vorwurf.
»Ihr habt zu viel mitgemacht«, meinte er, »aber was soll ich da sagen«. Er schwieg und sah in die Glut.
Morik forschte in dem zerfurchten Gesicht. Er versuchte das Alter des Mannes zu schätzen. Vielleicht siebzig, dachte er. Irgendetwas war ihm nicht geheuer an diesem Fremden, der in zerlumpten Kleidern dasaß, doch keineswegs wie ein Bettler.
»Gut, dass ihr dageblieben seid«, sagte der Alte. »Nun braucht ihr nicht mehr weg.«
»Zuerst gruben nicht nur wir«, rückte Morik nun heraus. »Neun oder zehn gruben und einer war des anderen Feind und belauerte ihn, aber keiner fandetwas. Wir gruben viele Nächte. Als Vater hörte, dass du hier gräbst, wollte er herkommen.«
»Ich hatte es erwartet«, sagte der alte Mann. »Wir sind Nachbarn.«
»Er wollte dir den Platz streitig machen«, klärte ihn Morik auf.
Der Alte nahm es ruhig hin. »Es reicht für uns alle«, versicherte er noch einmal und schob den Ast, der nun Feuer gefangen hatte, tief in die Glut. Bald darauf kam Tana zurück. Sie trug einen großen hölzernen Teller, auf dem Brot und zwei Fische lagen.
»Das war noch übrig«, sagte sie und reichte dem Fremden den Teller.
»Warum kam dein Vater nicht mit?«, erkundigte sich der alte Mann. »Hast du es ihm nicht gesagt?«
»Nein«, sagte Tana. »Morgen wird er ja sehen. Er nimmt an, dass wir noch graben.«
»Ich habe seit heute früh nichts gegessen«, entschuldigte sich der Alte, während er zugriff. Der Fisch schmeckte ihm. Er trank und wollte den Holzteller weitergeben. »Teilt euch den zweiten Fisch! Lasst ihn euch nicht entgehen – er hat es in sich!«
Tana lehnte ab. »Wir haben gegessen.« Es machte ihr Spaß zu sehen, wie gut es dem alten Mann schmeckte. Als er mit beiden Fischen fertig war, setzte ihm Morik noch einmal zu. »Warum nicht jetzt gleich aufmachen? Nur einen Blick in den Schacht tun!«
»Nicht vor morgen früh«, bestimmte der Fremde. »Ich will, dass es dort unten glänzt.«
»Wir könnten einen brennenden Ast hineinhalten«, schlug Morik vor.
»Es würde nicht genug glänzen«, widersprach deralte Mann eigensinnig. Dann grübelte er. »Was habe ich nur für euch?« Er schlug an seine Brust. »Ihr habt diesem alten Burschen geholfen, aus welchem Grunde kümmert mich nicht. Ihr habt ihm zu essen gebracht. Es behagt ihm nicht, dass ihr euch bei ihm langweilt.« Eine Weile stocherte er in der Glut, als ob er etwas suchte. Überraschend hob er den Blick. »Wir könnten graben!«
»Aber das wolltest du doch eben nicht«, meinte Morik.
»Nicht dort in dem Loch«, belehrte ihn der Alte. »Hier!« Wieder stieß er an seine Brust. »Da drin steckt etwas, das nicht leicht einer vermutet.« Er kniff die Augen so weit zu, dass nur noch zwei Schlitze blieben. »Es hört sich verrückt an, aber ich weiß, was ich sage: Da drin ist ein Elefant. Er heißt Suru. Wie gefällt euch der Name?«
Verblüfft sahen Tana und Morik ihn an. Sie waren nicht sicher, ob er im Ernst eine Antwort wollte.
»Ich weiß, was ich sage«, wiederholte der Alte. »Da drin ist Suru. Seit ich ein Junge war, haben wir miteinander zu tun. Nicht einen Tag war einer ohne den anderen. Erst zog ich mit dem Elefanten, dann zog er mit mir. Wir gehörten zu denen, die den weiten Weg gingen: von hier fort bis an das große Gebirge und über die Berge, die nie ohne Eis sind, immer weiter bis vor die Tore Roms.«
»Du zogst mit Hannibal?«, fragte Morik außer sich vor Erregung.
»Hier begann es«, sagte der Alte. »Von hier trug Suru mich fort und hierher kehrte ich mit ihm zurück.« Er suchte im Dunkel. »Und nach so vielenJahren ist hier noch immer kein Stein auf dem anderen.« Er sah Morik an. »Wie alt bist du? Zwölf? Ich war nicht älter als du, als Sagunt zerstört wurde. Dort, nur ein paar Schritte weiter, lag ich, unfähig, mich zu
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