Ich zog mit Hannibal
bewegen, weil ich halb begraben war. Ringsum zerfielen die Häuser. Die ganze Stadt war ein einziger Brandherd. Der Gluthauch versengte mir Brauen und Haar. Inmitten des Feuers wurde es für mich Nacht. Ich weiß nicht, wie lange.« Der Alte war über die Glut vorgebeugt, Tana und Morik sahen die Flammen in seinem Gesicht.
»Und keiner zog dich heraus?«, fragte Tana.
»Es war keiner da«, erklärte der Alte. »Wer nicht tot war, war fortgetrieben wie Vieh, und das war schlimmer, als tot zu sein. Die Stadt war tot und ich lag so da, dass die fremden Männer, die durch die Stadt streiften, mich für tot hielten. Nur Suru täuschte sich nicht. Er, der Elefant, der mich mit einem einzigen Tritt hätte töten können, hob den gewaltigen Fuß wieder ab, kaum dass er an meine Schulter gestoßen war. Er trat nur eben so viel auf, dass ich von seinem Tritt wieder zu mir kam.«
Tana sah ihn erschrocken an. »Ein Elefant trat auf dich – und du bist noch am Leben?«
»Kein Elefant setzt den Fuß nieder, wenn er etwas Lebendes unter sich spürt«, beruhigte sie der alte Mann. »Als ich zu mir kam, sah ich einen grauen Berg, der lebendig war. Der Elefant hatte nur einen Stoßzahn; er hielt mir Stoßzahn und Rüssel hin. Der Blick, der mich aus dem Auge des Elefanten traf, machte mir Mut. Solange die Stadt bestürmt worden war, hatte es für uns nichts Entsetzlicheres gegeben als die Kolosse,die man gegen die Mauern getrieben hatte. Der Elefant, der so unerwartet vor mir stand, erregte in mir keine Furcht. Ich fühlte im Gegenteil: Nun kann mir nichts mehr geschehen. Nicht mein Kopf dachte diesen Gedanken – er kam aus dem Herzen.
Der Treiber war vom Elefanten gestiegen, um nachzusehen, was da wäre. Er sah mich. Er war einer von denen, die in die zerstörte Stadt geschickt worden waren, um nach Überlebenden zu fahnden. Es war kein junger Mann mehr. Von der Stirne schräg über die linke Wange lief eine Narbe, als habe ein Blitz das Gesicht zerrissen. Vor ihm hatte ich Angst. Da berührte ihn der Elefant mit dem einen Stoßzahn, den er noch hatte. Der Treiber drehte sich um. Ich hörte, dass er Suru befragte. Dann nickte er, als habe der Elefant ihm etwas zu verstehen gegeben, holte mich aus dem Schutt und nahm mich mit. Das war vor so vielen Jahren, dass ich es aufgegeben habe, sie zu zählen.«
»Und wo warst du seitdem?«, fragte Tana.
»Auf dem Wege nach Sagunt.«
»Nach Sagunt? Nicht nach Rom?«, fragte Morik verwirrt. »Du zogst doch mit den Karthagern!«
»Du hast Recht, ich zog mit ihnen nach Rom«, bestätigte der alte Mann. »Suru war einer der Elefanten, die mit Hannibal über die Alpen stiegen. Er war der Einzige, der schließlich durchkam, und ich mit ihm. Ich sah Rom und ich kam sogar bis nach Karthago. Ich sah, wie Sagunt zum zweiten Mal brannte.«
»Sagunt – nicht Karthago?« Der Alte, der mit jedem Wort Rätsel aufgab, wurde Morik von neuem verdächtig.
»Für mich war es Sagunt«, beteuerte der Fremde. »Am Ende war von Karthago so wenig übrig wie von Sagunt. Auf den Trümmern Karthagos ergriff mich ein Heimweh, das mich hierher zurücktrieb.«
»Und Suru?«
»Wo blieb der Elefant?«
Der alte Mann stieß mit der Faust zum dritten Mal an seine Brust. »Seit er sich in sein großes Abenteuer einließ, schleppe ich mich mit ihm herum.« Er brach einen Ast in der Mitte durch und warf die eine Hälfte ins Feuer. »Rückt näher her«, sagte er, »die Nacht wird kühl.« Er lehnte sich gegen die Mauer. »Man hat viel davon erzählt, wie das Heer der Karthager mit den Elefanten über die Alpen zog. Auch heute noch gibt es Leute, die davon reden. Ich war bei den Elefanten, bis es mit ihnen zu Ende war. Mich trug Hannibals Elefant.« Er schwieg eine Weile, dann fuhr er aus seinem Grübeln auf. »Ich kam zerlumpt heim, mit leeren Händen, das lässt sich nicht leugnen. Eines aber können sie mir nicht nehmen: Ich war dabei. Den großen Elefantenzug machte ich mit. Ich zog mit Hannibal. Rückt näher her!«
Tana und Morik rückten so nah an ihn, als die Glut es zuließ. An das Erdloch, das keine fünf Schritte von ihnen entfernt war, dachten sie nicht mehr. Erst war nur das Feuer zu hören. Dann trank der alte Mann aus dem Krug, der neben ihm stand, und begann mit seiner Geschichte.
Der große Elefantenzug
1
Als die Karthager anfingen, Sagunt zu belagern, war ich zwölf Jahre. Ich war zu jung, um zu verstehen, was um mich vorging. Bis dahin war Sagunt eine Stadt gewesen, in der es sich
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