Ich zog mit Hannibal
leben ließ, auch für solche, die von der Hand in den Mund lebten, wie man so sagt. Sagunt besaß einen Hafen am Meer. Bis zu ihm war vom Südtor aus eine halbe Stunde zu gehen. Die Straße zur Küste führte durch Gärten und Felder, die viel abwarfen, da Höhenzüge den Nordwind von ihnen abhielten. Doch der Reichtum, der sich in den Palästen häufte, kam nicht von Feldern und Gärten, sondern vom Meer. Sagunt war eine Stadt, der das Meer viele Schiffe zutrug. So weit man zurückdenken konnte, war das so gewesen. Nun aber wurde von einem Tag zum andern aus der Stadt eine Insel, gegen die erbarmungslos Welle um Welle anlief, bis die Insel in einem Flammenmeer unterging. Wie sollte ein Junge von zwölf Jahren so etwas fassen?
Schon vorher waren Dinge geschehen, die ich nicht begriff. Nach Sagunt waren all die Jahre auch von Karthago Schiffe gekommen. Sie hatten Krüge, Purpurstoffe und seltsame gläserne Masken gebracht und Korn und Silber geholt. Plötzlich wurde in allen Gassen schlecht von den Puniern geredet: von einer punischen Pest, die alle Küsten verseuche. Zwei Ratsherren,die sich für die Karthager verwendet hatten, waren von den andern gepackt, auf die Mauer geschleppt und hinabgestürzt worden. Es hieß, man habe Gesandte an die Römer geschickt, um sich den Rücken zu decken.
Dann verbreitete sich das Gerücht wie ein Lauffeuer von einem Tor zum andern: Hannibal kommt! Ich sah bleiche Gesichter.
Wer Hannibal war, wusste ich: einer der Söhne jenes Karthager-Feldherrn, der Iberien bis zum Ebro erobert und zu einer punischen Provinz gemacht hatte. Unsere Stadt hatte dieser Hamilkar Barkas in Frieden gelassen. Barkas bedeutet Blitz, das hatte man mir gesagt. Der Blitz hatte uns verschont. Aber nun zog sein Sohn Hannibal mit mehr Männern gegen Sagunt, als in der Stadt Männer, Frauen und Kinder waren.
Er hieß der »junge Blitz«. Und dieser Blitz hatte es auf uns abgesehen. Das Heer, das er in Marsch gesetzt hatte, kam aus den Bergen im Westen wie ein ungeheurer Wurm, der einen Anfang, aber kein Ende hat, schob sich zwischen Küste und Stadt und kroch um die Mauern. Alles wurde anders von einem Tag auf den andern. Wo vorher Felder und Gärten gewesen waren, war nun eine Wüste. Der Wurm wälzte sich in die Felder – sehr bald stand kein Baum mehr. Dagegen rauchten überall Feuer rings um die Stadt und in der Nacht sah es aus, als wäre die Hölle dabei, an viel mehr Stellen, als einer allein zählen kann, aus der Erde zu brechen.
Ich konnte nicht glauben, dass es Menschen sein sollten, die so etwas taten. War denen da draußen dennnicht bekannt, dass ein Baum Früchte trägt? Hatten sie denn nicht Hunger und aßen von dem, was auf Äckern wächst? Wussten sie nicht, wie viel Mühe es macht, ein Feld zu bestellen? Nachdem sie sich vor den Mauern breit gemacht hatten, rückten sie an. Die Vordersten waren unter Dächern, die auf Rädern anrollten, versteckt.
Sie kommen mit Widdern und Böcken und Skorpionen, sagte mein Vater, neben dem ich auf der Mauer stand. Ich konnte weder Widder noch Skorpione entdecken – Ungetüme aus Eisen und Holz bedrohten die Mauern. Geh jetzt!, sagte mein Vater und griff zu den Waffen, die neben ihm lagen. Ich warf im Gehen auf ihn einen Blick und erschrak. Er sah nicht mehr wie mein Vater aus. Er hatte ein fremdes Gesicht. Der Hass auf die da draußen hatte seine Züge verzerrt. Er sah so aus, dass ich Furcht vor ihm hatte.
Dort, wo mein Vater stand, sprang die Mauer gegen das Meer hin in eine Senke vor. Hier wollte Hannibal in die Stadt einbrechen. Gegen diese Stelle ließ er Wurfmaschinen und Rammböcke bringen, um mit Blöcken und eisenbeschlagenen Balken die Mauern zu lockern. Ein Hagel von Speeren und Pfeilen ging von den Mauern auf die Angreifer nieder. Steine wurden geschleudert und zerschlugen die Dächer, unter denen die Karthager sich sicher gefühlt hatten. Die Verteidiger hatten Spieße aus Tannenschäften; aus ihnen ragten, einen halben Arm lang, eiserne Stachel hervor. Um diese Stachel war Werg gewickelt, das vor dem Wurf in Brand gesteckt wurde. Der Speer flammte auf, wenn er flog; brennend schlug er in Schilde und Menschen.
Aber nicht nur die Reihen der Karthager lichteten sich. Auch auf den Mauern waren bald nicht mehr Männer genug. Wir Halbwüchsige schleppten herbei, was gebraucht wurde: Proviant und Waffen, Steine und Speere und Pfeile, und oft geschah das, während der Kampf in vollem Gange war. Auch Jungen wurden getroffen. Einige Male
Weitere Kostenlose Bücher