Identität (German Edition)
einzurichten.
«Ja», sagte er. «Ja, ja.»
Er versuchte, den Detektiv in sich wiederzufinden.
«Ich …», sagte er. «Wir …», sagte er. «Ich bin sehr daran interessiert, mich mit Ihnen zu unterhalten. Könnten wir eine Zeit für ein persönliches Gespräch vereinbaren?»
«Wie wär’s mit jetzt?», sagte die Frau. «Sagen Sie mir, wo ich Sie finde.»
14
DIE NACHRICHT erreichte Ryan an seinem ersten Abend in Las Vegas, und er konnte ein gewisses Flattern im Bauch nicht ganz unterdrücken.
Das war das dritte oder vierte Mal, dass sich ein völlig Unbekannter über IM bei ihm meldete, immer auf Russisch oder in irgendeiner anderen osteuropäischen Sprache. In diesem Fall war es jemand, der sich «новый друг» nannte, und Ryans Instant-Messenger-Fenster machte sein Klopf-Klopf-Geräusch.
новый друг: Добро пожаловать в Лас-Вегасе
Ryan schloss augenblicklich das Fenster, fuhr den Computer runter, saß da und spürte, wie ihm die Ameisen die Arme hoch- und den Rücken wieder runterkrabbelten. Warum ließ er sich von der Sache nur so mitnehmen?
«Scheiße», sagte er, faltete die Hände auf der Glasplatte des Schreibtisches und starrte auf den leeren schwarzen Bildschirm seines Laptops.
Er hatte sich so gut gemacht. Er hatte ziemlich schnell gelernt, wie Jays Geschäft funktionierte, hatte es jetzt, meinte Jay, «so gut drauf wie eine Ente das Schnattern» und in null Komma nichts rausgehabt, mit fast hundert verschiedenen fiktiven Personen zu jonglieren.
«Ich merk schon, dass du mein Sohn bist», sagte Jay. «Du hast mein Talent.»
Und Spaß hatte er auch gehabt, meistens. Er reiste für sein Leben gern – mit dem Auto, im Flugzeug, mit dem Zug –, jede Woche eine andere Stadt, ein neuer Name, eine neue Identität, die er ausprobieren konnte, eine neue Rolle , als ob jeder Trip ein Film wäre, in dem er die Hauptrolle spielte. Durch den er schwebte , wie es ihm mitunter vorkam. Schwebte. Es lag eine Erleichterung, eine Befreiung in diesem verwegenen Auftreten, diesem Gefühl, zu einem aalglatten Schwindler, Verbrecher und Dieb zu werden – ein Gefühl von Abenteuer und Gesetzlosigkeit und unbestimmter, irgendwie verführerischer Gefahr.
Und dennoch gab es Augenblicke, in denen ihn seine Gelassenheit im Stich zu lassen drohte, wirklich nur Augenblicke – eine unerklärliche IM, ein argwöhnischer Beamter im Straßenverkehrsamt, eine Kreditkartenzahlung, die plötzlich verweigert wurde. Und plötzlich spürte er, dass diese alte Panik ihm knisternd den Nacken hinauflief, ein Schatten war ihm die ganze Zeit gefolgt, der, das war ihm klar, wenn er sich umgedreht und einen Blick über die Schulter geworfen hätte, da gewesen wäre.
In solchen Momenten fragte er sich, ob er wirklich für ein solches Leben geschaffen war.
Vielleicht litt er auch nur unter Verfolgungswahn.
Er hatte dieses ungewöhnliche Vorkommnis, diese unerklärlichen Mitteilungen in kyrillischen Buchstaben schon einmal gemeldet, und Jay hatte sich nicht im Mindesten beunruhigt gezeigt.
«Ach, sei nicht so ein Schisser», sagte Jay zu ihm.
«Kommt dir das nicht – verdächtig vor?», hatte er Jay gefragt, aber Jay war überhaupt nicht beunruhigt.
«Das ist nur Spam», hatte Jay ihm erklärt. «Blockier das einfach und änder deinen Benutzernamen, Mann. Das Netz wimmelt von so’m Scheiß.»
Jay erklärte, dass er Server in Omsk und Nischni Nowgorod benutzt habe, um ihre IP-Adresse unkenntlich zu machen, und so, sagte er, sei es nicht weiter verwunderlich, wenn sie gelegentlich russische Junkmail bekämen. «Es geht da wahrscheinlich um billige rezeptpflichtige Medikamente oder Penisvergrößerung, oder um scharfe minderjährige Lesben.»
«Stimmt», sagte Ryan. «Ha.»
«Sei nicht so verkrampft, Sohn», sagte Jay. Und Jay war im Prinzip ein äußerst vorsichtiger Mensch, dachte Ryan. Wenn Jay sich keinen Kopf machte, warum sollte er es tun?
Trotzdem schaltete er den Computer nicht wieder an.
Er stand da, das Handy am Ohr, wartete darauf, dass Jay sich meldete, und starrte aus dem Fenster des zweiunddreißigsten Stocks des Mandalay Bay Hotel.
Da lag Las Vegas vor ihm ausgebreitet: die Pyramide des Luxor, die mittelalterlichen Türme des Excalibur, das blaue Leuchten des MGM Grand. Das Mandalay Bay selbst war ein großer blanker Goldbarren am Südende des Strip. Wenigstens von außen waren die Fenster eine einzige schimmernde Fläche von golden spiegelndem Glas,
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