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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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er im Lift hinunterfuhr, und dann schob er es wieder zurück, knapp unter die Bewusstseinsschwelle, wo sich Pixie die letzten paar Jahre lang herumgetrieben hatte.
    Im Fahrstuhl war ein Miniatur-LED-Bildschirm, auf dem irgendeine broadwayartige Musiknummer plärrte, und das Mädchen, das vor ihm stand, verlagerte, während sie sich den Videoclip ansah, ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sie trug einen sehr kurzen Rock und hatte unglaublich lange nackte Beine. Sie schienen ihr bis zum Brustkorb zu reichen, schöne flaumbedeckte braune Beine, und Ryan betrachtete sie schweigend. Der Rock endete knapp unter der Rundung ihres Pos, und er ließ seine Augen über die Rückseite ihrer Oberschenkel, Waden und Knöchel bis hinunter zu ihren rosigen Füßen gleiten, die in hohen Sandalen steckten. Als sie aus dem Fahrstuhl ausstieg, schaute er ihr nach, und der Mann neben ihm gab ein kehliges Geräusch von sich.
    «Mm, mm», sagte der Mann. Es war ein Schwarzer, vielleicht um die fünfzig. Er hatte ein pinkfarbenes Polohemd und eine erbsengrüne Hose an und trug eine Golftasche. «Das war ein Fest für die Augen.»
    «Ja», sagte Ryan, und der Mann schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht fassen.
    «Verdammt», sagte der Mann. «Sind Sie Single?»
    «Ja», sagte Ryan. «Kann man, glaub ich, so sagen.» Und der Mann schüttelte wieder den Kopf.
    «Da beneide ich Sie ehrlich», sagte der Mann – und noch bevor er mehr sagen konnte, öffnete sich die Fahrstuhltür, und drei weitere schöne blutjunge Mädchen betraten den engen Raum.
     
    Was, wenn er wirklich ein Mädchen kennenlernte?, fragte er sich. Das taten schließlich die Leute in Vegas – die meisten kamen nur dafür hierher. Überall in der Stadt, nahm er an, bandelten sie an, baggerten sich den Weg zu One-Night-Stands frei oder torkelten betrunken in die Arme eines wildfremden Menschen. Er selbst hatte noch nie ein Mädchen in einer Bar oder einem Kasino aufgerissen, aber offensichtlich war das möglich. Im Fernsehen sah man das andauernd: Ein Mann sprach eine attraktive Frau an, es wurde eine Zeitlang geflirtet oder anzüglich geplaudert, und kurze Zeit später trieben sie es miteinander. Konnte eigentlich nicht so schwierig zu bewerkstelligen sein. Wenn er beim College-Eignungstest 2200 Punkte geschafft hatte, müsste er auch imstande sein, in Las Vegas zum Stich zu kommen.
    Aber als er da im Hauptspielkasino stand, erschien die bloße Vorstellung, «jemanden kennenzulernen», hoffnungslos schwierig. Wie konnte man sich an einem solchen Ort auch nur mit jemandem unterhalten? Vor ihm gähnte etwas wie eine gigantische Videospielhalle, Reihen über Reihen von neongrellen Münzautomaten, so weit das Auge reichte, und Hunderte von Menschen, die ihren jeweiligen Monitor, auf dem Spielkarten, durchlaufende Zahlen oder computeranimierte Gestalten zu sehen waren, mit Geld fütterten. Er musste unwillkürlich an alte Fotos von Ausbeuterbetrieben denken – riesige düstere Fabrikhallen, in denen unabsehbare Reihen von Arbeitern Feldblusen säumten oder Ösen in Schuhe nieteten, ein Bienenstock, in dem jeder Einzelne in seinem unaufhörlichen, einsamen Trott eingesperrt war. Und währenddessen wanderten rings um ihn Leute die Gänge und Laufstege mit diesem besonderen ausdrucksleeren Blick ab, den man bei gewissenhaften, amüsierwilligen Pauschalreisenden sah – diesem ziellosen Schlurfschritt, in den Leute in Einkaufszentren und angesichts von Kulturdenkmälern und Ähnlichem verfielen.
    Schließlich schloss sich Ryan dem Strom von Menschen an, der um den Hauptspielbereich herumwanderte. Vor ihm unterhielten sich zwei blonde Frauen in Caprihosen auf Holländisch, Norwegisch oder in sonst einem vergleichbaren Idiom miteinander. Weiter vorne hatte sich ein kleiner Stau gebildet, weil die Leute kurz stehenblieben, um einem älteren Mann mit Cowboyhut und geblümtem Westernhemd zuzusehen, der Kartentricks vorführte. Der Mann hielt eine Pikzehn in die Höhe, und es erklang plätschernder Applaus, woraufhin er eine anmutige Verbeugung andeutete. Die blonden Frauen blieben stehen und reckten den Hals, um zu sehen, was da los war.
    Ryan aber ging an ihnen vorbei und tastete wieder in seiner Hosentasche nach dem Bündel Bankcards, das fast so dick wie ein Kartenspiel war.
    Ein Haufen Geld wartete darauf, abgehoben zu werden, bevor die Nacht vorbei war.
     
    Wie ärgerlich, dass er wieder an Pixie dachte.
    Während der letzten paar Jahre war es ihm recht gut gelungen,

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