Idol
schloß behutsam die Tür hinter sich und sagte, sie habe mich gerade
suchen wollen, Vittoria habe nach mir verlangt.
Caterina Acquaviva war frisch und lebendig wie ihr Name, brünett und rundlich, hatte einen bemerkenswert reinen, matten Teint
und große unschuldige Augen. Als sie über meine Schulter hinweg Marcello auf ihrem Bett liegen sah, errötete sie. Ihr von
einem eckigen Ausschnitt halb entblößter bräunlicher Busen hob sich, und sie sagte mit zärtlicher Stimme, deren Beben sie
nicht unterdrücken konnte:
»Signor Marcello, Ihr habt es bequemer, wenn ich Euch die Stiefel ausziehe.«
|27| »Wie du willst«, antwortete er ungerührt, ohne Entschuldigung, daß er ihr Lager einnahm, und ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Ich fand Vittoria vor dem Fenster auf einem Stuhl mit hoher Rückenlehne, ihr langes Haar hatte sie über die Lehne geworfen,
seine Spitzen berührten den Teppich. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt. Sie weinte nicht und schaute ins Leere.
»Ach, Giulietta«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »ich bin froh, dich zu sehen. Du wenigstens hast unseren unglücklichen
Vater geliebt. Mein Gott, wie schlecht haben wir ihn behandelt!«
»Du mußt dir keine Vorwürfe machen«, entgegnete ich nach einem Moment des Schweigens. »Es war nicht dein Entschluß, Gubbio
zu verlassen und nach Rom zu gehen.«
»Aber es ist meinetwegen geschehen«, erwiderte sie lebhaft. »Und du weißt, wie gerne ich in Rom lebe. Armer Vater! Er hat
sich in Gubbio abgerackert, während wir uns hier amüsierten …«
Ich widersprach ihr nicht, denn das stimmte. Wahr ist auch, daß Vittoria ihren Vater bisweilen völlig vergessen zu haben schien.
Damals, entsinne ich mich, stellte ich mir zum ersten Mal die Frage, ob die bezaubernde Schönheit Vittorias wirklich ein so
großes Geschenk des Himmels sei, wie alle behaupteten.
Da das Schweigen andauerte, wagte ich zu fragen: »Sag ehrlich, Vittoria, möchtest du lieber allein sein?«
»Nein, bleib! Mir war so, als hätte ich nebenan die Stimme Marcellos gehört. Er ist also aus Amalfi zurück? Was macht er hier?«
»Er bewacht dich. Er hat geschworen, Tarquinia am Eintreten zu hindern.«
Sie seufzte und neigte den Kopf zur Seite.
»Sag ihm, daß ich ihm danke. Sag ihm, wenn er mich begrüßen möchte, kann er kommen.«
Ich ging hinüber in den kleinen Vorraum und schloß die Tür hinter mir, bevor ich mich an Marcello wandte. Die Tür war mit
einer schweren Stoffbespannung gepolstert, und ich wollte nicht, daß Vittoria alles hörte. Ich wußte genau, wie Marcello die
versteckte Bitte seiner Schwester aufnehmen würde.
Marcello hatte sich weder von dem kleinen Lager erhoben |28| noch seinen Dolch in die Scheide zurückgesteckt. Er hatte ihn neben sich auf einem kleinen Nachttisch abgelegt, hatte die
Augen geschlossen und schien zu schlafen, so daß Caterina, die mit dem Rücken zur Wand zu ebener Erde auf einem Kissen saß,
ohne Furcht vor Zurückweisung seine Züge betrachten konnte.
Sowie ich erschien, stand Caterina auf, wie ertappt, doch ich hieß sie sich wieder setzen, da Vittoria sie im Moment nicht
brauche. Ich sprach leise, um Marcello nicht zu wecken. Während ich noch zögerte, ob ich ihn ansprechen sollte, betrat Flamineo
auf leisen Sohlen – unmerklich, wie er alles tat – das kleine Zimmer.
Flamineo war so etwas wie das verkleinerte, blasse Abbild von Vittoria. Seine kurzgeschnittenen blonden Locken bildeten eine
Art Heiligenschein um seinen Kopf. Die wässerigen blauen Augen erhellten sein etwas weiches Gesicht mit mildem Glanz. Fromm,
wie er war, hätte er längst Mönch werden sollen: so wäre er dem Streit in seiner Familie und der zermürbenden Arbeit in der
Majolikamanufaktur entgangen. Und besser noch, er wäre mit der Zeit ein hübscher kleiner
monsignore
geworden, angebetet von den weiblichen Schäfchen seiner Herde wie jetzt schon von den Dienerinnen im Palazzo Rusticucci, wobei
Caterina freilich auf ein Abendmahl anderer Art hoffte.
Flamineo war so leise wie ein Mäuschen gewesen, hatte aber nicht einmal Zeit, den Mund zu öffnen: Marcello war mit einem Satz
aufgesprungen und hatte ihn an der Gurgel gepackt. Da begriff ich, daß Marcello sich bis jetzt nur schlafend gestellt hatte,
um sich an Caterinas stummer Anbetung zu ergötzen. Diesmal mischte ich mich nicht ein: für Flamineo bestand keine Gefahr.
Da er sich niemals wehrte, fand Marcello es unter seiner Würde, ihn zu
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