Idol
beobachtete, als könne ich mich jeden Moment in die Lüfte erheben, so glücklich und leicht fühlte ich mich. Leicht war ich
übrigens wirklich, denn ich trug weder die Baskine, das beengende Untermieder, noch den schweren Reifrock, die Vertugade.
Unter einem langen und weiten, vorn offenen safrangelben Kleid war ich völlig nackt. Der Stoff umschmeichelte sanft meinen
Körper und ließ meinen Gliedern eine köstliche Freiheit. Als ich mich in einem großen venezianischen Wandspiegel erblickte,
trat ich näher heran und fand mich zu meiner Überraschung größer und vor allem hübscher, als ich noch am Abend gewesen war.
Jeder Mann, schien mir, müsse mich lieben, sobald er mich sah. Ich vollführte einige Pirouetten und |31| tanzte mit ausgebreiteten Armen, die mir in den weiten Ärmeln wie Flügel erschienen, durch das Zimmer. Alles war mir Liebkosung,
während ich umherwirbelte: die Falten des Kleides, die laue Brise aus dem Garten, die ich sogar unter meinem Kleid spürte,
die Räucherdüfte aus dem flachen Becken, der weiche dicke Teppich unter meinen Füßen.
Zu meinem Verdruß entdeckte ich plötzlich, daß ich nicht allein in dem Zimmer war, wie ich zunächst geglaubt hatte. Auch Vittoria
und Caterina waren da und trugen ebensolche Kleider wie ich, nur von anderer Farbe: Vittorias war rosa, Caterinas lila.
Ich bemerkte mißmutig, daß ihnen diese Farben gut standen. Und die Pose, in der ich sie sah, steigerte noch die lebhafte Antipathie,
die ich plötzlich gegen beide empfand.
Caterina saß auf dem Teppich und lehnte ihren brünetten Kopf an einen Diwan. Sie hatte den breiten Ausschnitt ihres Kleides
über ihren linken Oberarm hinabgleiten lassen, so daß man eine runde Schulter sehen konnte und ihre makellosen bräunlichen
Brüste mehr als zur Hälfte entblößt waren. Ihre schwarzen Augen, die mir sehr groß und glänzend vorkamen, waren erwartungsvoll
auf die nägelbeschlagene schwere Tür gerichtet.
Vittoria dagegen saß artig auf einem der Diwane, so daß ich an ihrem Betragen zunächst nichts auszusetzen hatte. Doch als
ich ihr Gesicht, das mir weniger schön als sonst erschien, genau durchforschte, entdeckte ich darin eine gewisse Falschheit,
die ich vorher nie bemerkt hatte und die sie durch ihr Verhalten sogleich bestätigte. Denn sie erhob sich und sagte ungeniert
und wie im Selbstgespräch:
»Das Kleid ist mir zu warm. Und da wir unter uns sind, will ich es ausziehen. Mein Haar reicht aus, mich zu bedecken.«
Sie entkleidete sich, streckte sich auf dem Diwan aus und bedeckte Brüste und Leib mit ihrem Haar. Dann stieß sie einen kleinen
Seufzer aus und schloß die Augen wie zum Schlafen. Ich ließ mich davon nicht täuschen, denn ich sah, wie ihre Lider einen
Spalt geöffnet blieben und sie ebenfalls nach der Tür schaute. In diesem Augenblick wußte ich nicht, was ich mehr verabscheute.
Caterinas Schamlosigkeit oder Vittorias scheinheiligen Anstand.
Ich beschloß, die beiden durch meine tadellose Haltung zu |32| beschämen. Ich setzte mich auf einen Diwan, preßte die Beine zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, um den indiskreten
Ausschnitt meines Kleides am Verrutschen zu hindern. Einen Augenblick später bemerkte ich, daß der Diwan, auf dem ich Platz
genommen und den ich rein zufällig gewählt hatte, der Tür genau gegenüberstand. Ich beschloß, diese unglückliche Wahl zu korrigieren,
indem ich meinen Kopf entschlossen nach rechts gedreht hielt, als ob ich durch das Gitter der Fenstertür in den Garten schaute.
Dabei wurde mir zu meiner Freude alsbald bewußt, daß ich so einem zur Tür hereinkommenden Besucher meine beste Seite zukehrte.
Dieser unfreiwillige Vorteil verwirrte mich nicht im geringsten, betrachtete ich ihn doch als eine Gunst der Vorsehung und
als Belohnung für mein untadeliges Betragen.
Caterina stieß einen unterdrückten Schrei aus, und als ich der Richtung ihres Blickes folgte, sah ich den Grund ihrer Verwirrung.
Ein Gesicht erschien hinter dem Guckloch, da dieses aber durch ein Gitter verschlossen war, konnte man die Gesichtszüge nicht
deutlich erkennen, die schwarzen Augen dagegen waren sehr gut zu sehen, ebenso die glänzenden Blicke, mit denen jede von uns
der Reihe nach angestarrt wurde und von denen ich mich wie durchbohrt fühlte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Vittoria, die ungerührt wirken wollte und ins Leere schaute, um so die Schönheit ihrer
Augen am besten zur Geltung
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