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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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schlagen.
    »Was machst du hier?« zischte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Wer schickt dich? Antworte! Wer schickt dich? Tarquinia?
     Welche Botschaft hat sie dir aufgetragen? Antworte, du Abgesandter des Satans!«
    »Niemand hat mir eine Botschaft aufgetragen«, sagte Flamineo mit seiner sanften, singenden Stimme, die mich immer wieder erstaunte
     und die mir, ehrlich gesagt, nur begrenztes Vertrauen einflößte, paßte sie doch auch recht gut zu frommen Lügen.
    |29| »Was willst du dann hier?« fragte Marcello, ohne ihn loszulassen und ohne die Stimme zu heben, da er zweifellos befürchtete,
     die Aufmerksamkeit Vittorias zu erregen, und weil er außerdem sehr wohl wußte, daß sie dazu neigte, Flamineo als ihren jüngeren
     Bruder in Schutz zu nehmen.
    »Ich möchte Vittoria sehen«, sagte Flamineo schwach.
    »Sie will niemanden sehen!« entschied Marcello leise, wobei er einen flüchtigen Blick auf Vittorias Tür warf, als fürchte
     er, sie könne sich öffnen und ihn Lügen strafen. »Niemanden«, wiederholte er, »deshalb stehe ich hier Wache. Niemanden! Verschwinde,
     oder ich werfe dich hinaus!«
    Bei diesen Worten hielt er ihn immer noch an der Gurgel gepackt, öffnete die Tür zur Galerie und stieß ihn hinaus. Vielleicht
     muß ich hier ergänzen, daß der Palazzo Rusticucci um einen quadratischen Hof herum gebaut war, mit einem Wasserbecken und
     einem Boskett in seiner Mitte. Die erwähnte Galerie führte auf der Hofseite außen um den ganzen Oberstock herum und wurde
     vom Hof her je nach Tageszeit mit Sonnenwärme oder Kühle versorgt.
    »Marcello«, sprach ich ihn an, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, »was du eben gesagt hast, stimmt nicht ganz. Vittoria
     läßt dir ausrichten, wenn du sie begrüßen möchtest, kannst du zu ihr kommen.«
    Freude und Kälte wechselten so rasch auf seinem Gesicht, daß ich zweifelte, die Freude wirklich gesehen zu haben, so schnell
     schlug sie in Kälte um. Marcello streckte sich wieder auf Caterinas kleinem Lager aus, schloß die Augen und sagte:
    »Nein, ich lege keinen Wert auf so was: Tränen, Seufzer, Blicke gen Himmel und andere typisch weibliche Affereien. Sag ihr,
     daß ich müde von der Reise bin und schlafe.«
    In meinem Zimmer dann hatte ich in der Nacht einen seltsamen Traum. Ich sage »seltsam«, weil Träume normalerweise vage und
     ungezügelt sind, dieser mich jedoch durch seinen logischen Zusammenhang und die Deutlichkeit der darin gesprochenen Worte
     betroffen machte. Sie gruben sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis, so daß ich am nächsten Tag meinte, sie tatsächlich gehört
     zu haben.
    Ich war allein in einem großen prächtigen Zimmer, dessen Boden und Wände mit kostbaren Teppichen bedeckt waren. An den Wänden
     entlang waren Diwane aufgestellt. In der Mitte |30| des Raumes stand ein niedriger achteckiger Tisch aus duftendem Zedernholz, dessen Platte mit zierlichen orientalischen Schnitzereien
     geschmückt war. Auf dem Tisch stand eine breite flache Kupferschale, in der mir unbekanntes, aber sehr stark duftendes Räucherwerk
     verbrannte. Das Zimmer war nur mit den Teppichen, Diwanen und diesem Tisch ausgestattet. Die mächtige Tür bestand ebenfalls
     aus Zedernholz, sie war mit Nägeln und Eisenbändern beschlagen und mit einem vergitterten Guckloch versehen, das Schloß darunter
     – ich wußte es, ohne versucht zu haben, es zu öffnen – war abgeschlossen.
    Eine Fenstertür ließ die Morgensonne hereinfluten und war außen durch ein schmiedeeisernes Gitter gesichert, durch das man
     einen schönen Garten mit einer verschwenderischen Blumenpracht erblickte. In seiner Mitte befand sich ein goldener Käfig,
     in dem Vögel mit bunt schillerndem Gefieder sangen. Ich wollte gern näher herangehen, aber das Gitter der Fenstertür war verriegelt.
    So blieb ich also stehen, blickte auf den Käfig und bemerkte, daß um ihn herum Vögel flatterten, die das gleiche Gefieder
     hatten. Sie wollten in den Käfig hineingelangen, so wie die gefangenen Vögel begierig waren hinauszukommen. Auch uns geht
     es so, dachte ich: wir sehnen uns danach, uns mit dem geliebten Menschen zu verbinden, und sind diese Bande einmal geschmiedet,
     finden wir sie auf Dauer zu schwer.
    Aber dieser Gedanke streifte mich nur leicht, ohne mich traurig zu stimmen. Auch ich war gefangen, konnte weder das Gitter
     der Fenstertür aufstoßen noch die schwere Zedernholztür öffnen. Und doch war mir, während ich die im Käfig flatternden Vögel
    

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