Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
noch den Cruiser mit Ballonreifen, mit dem man an einem Strand entlangfuhr, was in Malibu gut war, weil man da nicht am Strand fahren konnte, außer wenn man über rostigen NATO-Draht klettern und über die Biorisiko-Warnungen alle paar Dutzend Meter hinwegsehen wollte.
Aber dieser Sportsockenschimmelgestank setzte sich immer wieder hinten in ihren Nebenhöhlen fest – keine Spur von Almwiesenduft – und erinnerte sie daran, dass sie pleite war und arbeitslos und in einem WG-Haus in Malibu wohnte.
Das Haus lag direkt am Strand, und der Stacheldrahtzaun verlief etwa zehn Meter vor der Terrasse. Niemand wusste genau, was da ausgelaufen war, weil die Regierung sich darüber ausschwieg. Etwas von einem Frachter, sagten manche, andere meinten, es sei ein Frachtzeppelin gewesen, der in einem Sturm runter gekommen sei. Die Regierung hatte immerhin Nanoboter zum Saubermachen eingesetzt; in dem Punkt waren sich alle einig, und deshalb hieß es, dass man da draußen nicht rumlaufen sollte.
Chevette hatte den Trainer an ihrem zweiten Tag hier entdeckt, und sie fuhr darauf zwei-, dreimal tagsüber oder — wie jetzt – spätnachts. Außer ihr gab es offenbar niemanden, der sich für das Ding interessierte oder jemals in diesen kleinen Raum neben dem Waschraum kam, der von der Garage abging, und das war ihr ganz recht. Als sie noch auf der Brücke gewohnt hatte, war sie es gewohnt gewesen, Menschen um sich zu haben, aber dort hatten alle ständig irgendwas zu tun gehabt. Hier dagegen wohnten lauter Studenten, die an der USC Medienwissenschaften studierten, und die gingen ihr allmählich auf die Nerven. Sie saßen den ganzen Tag rum, beschäftigten sich mit Medien und palaverten drüber, rührten aber ansonsten keinen Finger.
Sie spürte, wie ihr der Schweiß unter dem Stirnband des Interface-Visiers hindurch und dann seitlich an der Nase herunterlief. Sie bekam jetzt ein gutes Tempo drauf; sie merkte, wie Muskeln an ihrem Rücken arbeiteten, die sonst nicht in Aktion traten.
Der Trainer bekam den hellgrünen Lack des Bikes besser hin als die Hebel der Gangschaltung, stellte sie fest. Sie sahen irgendwie nach Zeichentrick aus, und die unter ihnen dahinsausende Straße war ein verschwommenes, banales Texture-Map. Die Wolken waren ebenfalls bloß primitives fraktales Allerweltszeug, wenn sie nach oben schaute.
Keine Frage, sie fühlte sich hier nicht übermäßig wohl, und auch mit ihrem Leben war sie momentan alles andere als zufrieden. Darüber hatte sie nach dem Abendessen mit Tessa gesprochen. Oder vielmehr gestritten.
Tessa wollte einen Dokumentarfilm machen. Chevette wusste, was ein Dokumentarfilm war, weil Carson bei einem Kanal namens Real One gearbeitet hatte, der nur solche Sachen brachte, und Chevette sie sich zu Tausenden hatte anschauen müssen. Daher wusste sie nun eine ganze Menge über nichts Bestimmtes und nichts Bestimmtes darüber, was sie eigentlich wissen sollte. Zum Beispiel, was sie jetzt tun sollte, nachdem das Leben sie hierherverschlagen hatte.
Tessa wollte sie nach San Francisco zurückbringen, aber Chevette konnte sich nicht so recht damit anfreunden. Bei dem Dokumentarfilm, den Tessa machen wollte, ging es um interstitielle Gemeinschaften; Tessa sagte, Chevette habe in einer gelebt, denn sie habe auf der Brücke gewohnt. Interstitiell hieß »zwischen den Dingen«, und Chevette fand, dass das schon einen gewissen Sinn ergab. Und es stimmte ja auch, sie vermisste die Brücke, vermisste die Leute, aber sie dachte nicht gern daran. Wegen dem, was geschehen war, seit sie hierhergekommen war, und weil sie den Kontakt zu ihnen nicht aufrechterhalten hatte.
Einfach bloß strampeln, befahl sie sich, während sie eine illusionäre Steigung erklomm. Nochmal schalten. Härter in die Pedale treten. Die Oberfläche der Straße bekam an einigen Stellen ein glasiges Aussehen, weil der Simulator das Bild nicht so schnell auffrischen konnte, wie sie fuhr.
»Ranzoomen.« Tessas Stimme, en miniature.
»Shit«, sagte Chevette. Sie klappte das Visier hoch.
Der Kameraträger; eine Art heliumgefülltes Kissen aus silbernem Mylar, auf Augenhöhe in der offenen Tür. Ein Kinderspielzeug mit kleinen, vergitterten Propellern, das Tessa von ihrem Zimmer aus steuerte. Gespiegelter Lichtring in der Linsenfassung, als das Objektiv beim Zoom ausfuhr.
Die Propeller verschwammen zu Grau, trieben das Ding vorwärts durch die Tür, stoppten; verschwammen wieder zu Grau, als sie sich andersrum drehten. Schaukelnd hing es
Weitere Kostenlose Bücher