Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
über seine Arbeit bei Real One zu interviewen. Irgendwie hatte es gefunkt; Chevette hatte das Lächeln der mageren Blondine erwidert, deren Züge alle ein bisschen zu groß für ihr Gesicht waren; die trotzdem toll aussah und lachte und so clever war.
Zu clever, dachte Chevette, während sie die Netztasche in den Tornister stopfte, denn jetzt stand sie im Begriff, mit ihr nach San Francisco zu fahren, und sie war nicht sicher, ob das so eine gute Idee war.
» Beeil dich.«
Sie bückte sich, um die Schnallen am Tornister zu schließen. Hängte ihn sich über die Schulter. Sah die Fahrradschuhe.
Keine Zeit mehr. Ging hinaus und zog die Tür der Kammer hinter sich zu.
Tessa war im Wohnzimmer, wo sie sich vergewisserte, dass der Alarm an der Schiebetür deaktiviert war.
Iain grunzte und schlug nach etwas in einem Traum.
Tessa zog eine der Türen gerade so weit auf, dass sie hinauskonnten; der Rahmen scharrte in der rostigen Schiene. Chevette fühlte die kalte Meeresluft. Tessa ging hinaus und langte noch einmal herein, um ihre Reisetasche zu holen.
Chevette ging ebenfalls raus. Ihr Tornister schlug klappernd gegen den Rahmen. Etwas streifte ihre Haare, und Tessa streckte die Hand aus und schnappte sich Gottes kleines Spielzeug. Sie reichte den aufgeblasenen Träger Chevette, die ihn an einem der Propellerkäfige packte; er fühlte sich schwerelos und sperrig und so leicht an, als wäre er unzerbrechlich. Dann packten sie und Tessa mit jeweils einer Hand den Türgriff und drückten die Tür gemeinsam gegen den Reibungswiderstand der Schiene zu.
Chevette richtete sich auf, drehte sich um, schaute an den schwarzen NATO-Drahtrollen vorbei auf das heller werdende Grau hinaus – mehr konnte sie vom Meer nicht sehen – und verspürte eine Art Schwindelgefühl, als stünde sie eine kurze Sekunde lang am Rande der sich drehenden Welt. Sie hatte dieses Gefühl schon früher gehabt, auf der Brücke, oben auf dem Dach von Skinners Bude, hoch über allem; hatte einfach nur dort gestanden, in einem Nebel, der die Bucht füllte und jedes Geräusch aus einer immer neuen und anderen Entfernung zurückwarf.
Tessa ging die vier Stufen zum Strand hinunter; und Chevette hörte den Sand unter ihren Schuhen knirschen. So still war es. Sie erschauerte. Tessa bückte sich und spähte unter die Terrasse. Wo war er?
Aber sie sahen ihn nicht, weder dort noch als sie anschließend durch den Sand an der Terrasse der alten Barbara vorbeistapften, wo die großen Fenster alle mit Steppfolie und
sonnengebleichter Pappe abgedeckt waren. Barbara war eine Hausbesitzerin aus der Zeit vor der Katastrophe, und sie ließ sich nur selten blicken. Tessa hatte versucht, den Kontakt zu ihr zu pflegen, hatte sie in ihre Dokumentation aufnehmen wollen, eine interstitielle Einer-Gemeinschaft, eine Eremitin im eigenen Haus, die sich inmitten von lauter WG-Häusern verschanzte. Chevette fragte sich, ob Barbara sie beobachtete, als sie an ihrem Haus vorbeigingen und zwischen diesem und dem nächsten hindurch zu Tessas nahezu würfelförmigem Van mit dem vom herumwehenden Sand zerkratzten Lack.
Irgendwie kam ihr das alles mit jedem Schritt mehr wie ein Traum vor; und nun schloss Tessa den Van auf, nachdem sie mit einer Taschenlampe zum Fenster hineingeleuchtet hatte, um sich zu vergewissern, dass er nicht drinnen wartete, und als Chevette auf der Beifahrerseite einstieg und sich auf dem knarrenden Sitz niederließ, dessen Bezug mit Elastikschnur über geripptem Kunststoff festgebunden war, wusste sie, dass sie fortging. Irgendwohin.
Und das war ihr ganz recht.
8 DAS LOCH
Driften.
Laney driftet, lässt sich treiben.
So macht er es. Er weiß, dass es nur geht, wenn er loslässt. Er gibt dem Zufälligen Raum.
Wenn man dem Zufälligen Raum gibt, besteht die Gefahr, dass sich dabei das Loch auftut.
Das Loch ist das, worum Laneys Wesen herumgebaut ist. Das Loch ist Abwesenheit im innersten Kern. In dieses Loch hat er immer alles Mögliche gestopft: Drogen, Beruf, Frauen, Informationen.
In letzter Zeit vor allem Informationen.
Informationen. Diesen Strom. Diese … Korrosion.
Driften.
Vor seiner Reise nach Tokio ist Laney einmal im Schlafzimmer seiner Suite im Chateau aufgewacht.
Es war dunkel, nur das Zischen von Reifen auf dem Sunset; das gedämpfte Rattern eines Hubschraubers, der in den Hügeln dahinter auf der Jagd war.
Und das Loch direkt neben ihm in den einsamen Weiten seines Doppelbetts.
Das Loch, ganz nah, ganz intim.
9 TAO
Bunte
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