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Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Kevlar-Verbänden verunstaltet waren, und rasten nun an den mittleren Etagen hoher Gebäude vorbei – vielleicht wieder dieses Shinjuku, weil sie durch eine Lücke dort einen kurzen Blick auf das Blechspielzeug-Gebäude zu erhaschen glaubte, aber von fern und aus einer anderen Richtung –, und hier, hinter einem Fenster wie alle anderen, so schnell wieder weg, daß sie nicht sicher war, ihn wirklich gesehen zu haben, ein nackter Mann mit übereinandergeschlagenen Beinen an einem Büroschreibtisch, den Mund bis zum Anschlag aufgerissen, wie in einem stummen Schrei.
    Dann fielen ihr allmählich auch andere Gebäude hinter den Regenwänden auf, die selbst nach hiesigen Maßstäben übertrieben beleuchtet waren, wie Nissan-County-Attraktionen in einem TV-Werbespot, isolierte Themenpark-Elemente, die aus einer Schicht eher gesichtsloser, unbeleuchteter Bauten ohne besondere Kennzeichen aufragten. An jedem dieser hellen Gebäude prangte ein turmhohes Schild: HOTEL KING
    MIDAS mit blinkender Krone und Szepter, FREEDOM
    SHOWER BANFF mit blaugrünen Bergen, die einen Wasserfall aus goldenem Licht umrahmten. Mindestens sechs weitere in rascher Folge, dann sagte Gomi Boy etwas auf Japanisch. Der glänzende schwarze Mützenschirm des Fahrers wippte zur Antwort auf und ab.
    Sie wurden langsamer und bogen auf eine Ausfahrt ein. In der Krümmung der Ausfahrt sah sie in dem plötzlichen, häßlichstumpfen Lichtschein der Natriumdampflampen eine regennasse Kreuzung im Nichts, ohne irgendwelche Autos in Sicht, wo sich blasses, grobes Gras naß und unordentlich einen kurzen, steilen Hang hinaufzog. Ein absolut anonymer Ort, der ebensogut in den Außenbezirken von Seattle oder einer x-beliebigen anderen Stadt hätte liegen können, und das -198—
    Heimweh verschlug ihr den Atem.
    Gomi Boy warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Er war damit beschäftigt, etwas aus einer anderen Tasche zu graben, die offenbar in seiner Hose war. Von einer Stelle ein gutes Stück unterhalb seines Schritts förderte er ein brieftaschengroßes Bündel Papiergeld zutage, das von einem breiten schwarzen Gummiband zusammengehalten wurde. Im aufscheinenden und wieder verlöschenden Licht einer weiteren Straßenlampe sah Chia, wie er das Band löste und drei Scheine abzählte.
    Sie waren größer als amerikanisches Geld, und auf einem sah sie das tröstlich vertraute Logo eines Unternehmens, dessen Namen sie schon von Kindesbeinen an kannte. Er stopfte die drei Scheine in den Ärmel seines Sweaters und machte sich daran, den Rest wieder dort unterzubringen, wo immer er es auch aufbewahren mochte.
    »Gleich da«, sagte er, zog die Hand zurück und machte seine Hosenträger wieder fest.
    »Gleich wo?«
    Sie bogen rechts ab und hielten an. Überall um sie herum fiel ein seltsames weißes, märchenhaftes Licht zusammen mit dem Regen auf ölfleckigen Beton, der säuberlich mit zwei großen weißen Pfeilen bemalt war, die nebeneinander in entgegengesetzte Richtungen zeigten. Der eine, der in ihre Fahrtrichtung wies, war auf eine quadratische Öffnung in einer nichtssagenden, weißgetünchten Betonmauer gerichtet. Zwölf Zentimeter breite Bänder aus glänzendem, pinkfarbenem Plastik hingen von ihrem oberen Rand zum Beton unten herab, verbargen, was dahinter lag, und erinnerten Chia an Papierschlangen auf einem Schulfest. Gomi Boy gab dem Fahrer die drei Scheine. Er blieb geduldig sitzen und wartete aufs Wechselgeld.
    Chia bekam Krämpfe in den Beinen und streckte die Hand -199—
    nach dem Türgriff aus, aber Masahiko langte rasch von vorn herüber und hielt sie auf. »Fahrer muß aufmachen«, sagte er.
    »Wenn du aufmachst, geht Mechanismus kaputt, sehr teuer.«
    Der Fahrer gab Gomi Boy heraus. Chia dachte, Gomi Boy würde ihm ein Trinkgeld geben, aber das tat er nicht. Der Fahrer langte nach unten und machte dort etwas außerhalb ihres Blickfelds, und die Tür neben Chia ging auf.
    Sie stieg in den Regen aus, zog ihre Tasche hinter sich her und schaute zur Quelle des weißen Lichtscheins hinauf: ein Haus wie eine Hochzeitstorte, an dem in weißer Neonschreibschrift HOTEL DI stand, umrandet von klaren, blinkenden Glühbirnen. Masahiko, der jetzt neben ihr stand, schob sie zu den pinkfarbenen Bändern hinüber. Sie hörte das Taxi hinter ihr abfahren. »Komm.« Gomi Boy verschwand mit dem buntkarierten Beutel durch die nassen Bänder.
    Hinein in eine nahezu leere Garage, in der zwei kleine Wagen standen, ein grauer und ein dunkelgrüner, deren Nummernschilder von

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