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Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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dem Weg nach oben, »nicht bei solchen Sachen. Jeder weiß, daß das Western World hier ist. Ich glaube, es gibt da eine stille Übereinkunft, sie den Laden so betreiben zu lassen, als ob er immer noch nicht lizensiert wäre. Dafür sind die Leute nämlich bereit, Geld auszugeben.«
    »Wem gehört das Haus?« Laney beobachtete, wie Blackwell vor ihnen die Treppen hinaufschwebte. In den mattschwarzen Ärmeln des Viehtreibermantels wirkten seine Arme wie Rinderseiten in Trauerkleidung. Die Treppenhausbeleuchtung bestand aus unregelmäßigen, schwach biolumineszenten -192—
    Kabelschlaufen.
    »Angeblich einer der beiden Gruppen, die sich nicht so recht einigen können, wem unser Hotel gehört.«
    »Der Mafia?«
    »Ihrem hiesigen Gegenstück. Aber sie entsprechen einander nur ansatzweise. Vor dem Erdbeben war Immobilienbesitz hier barock; jetzt ist er eher okkult.«
    Als sie an einer der leuchtenden Schlaufen vorbeikamen, schaute Laney nach unten und bemerkte auf den Trittflächen der Stufen hart gewordene Rinnsale einer Substanz, die grünlichem Bernstein ähnelte.
    »Da ist so ein Zeug auf den Stufen«, sagte er.
    »Urin«, erwiderte Arleigh.
    »Urin?«
    »Verfestigter, biologisch neutraler Urin.«
    Laney nahm die nächsten paar Stufen schweigend. Seine Waden begannen zu schmerzen. Urin?
    »Nach dem Erdbeben haben die sanitären Anlagen nicht mehr funktioniert«, sagte sie. »Sie konnten die Toiletten nicht benutzen. Da haben die Leute einfach ins Treppenhaus gemacht. Muß ziemlich schrecklich gewesen sein, nach allem, was man so hört, obwohl manche wehmütig daran zurückdenken.«
    »Er ist fest?«
    »Hier gibt’s ein Produkt, ein Pulver, sieht wie Tütensuppe aus. Irgend so ein Enzym. Wird hauptsächlich von Müttern mit kleinen Kindern gekauft. Das Kind muß mal, man kommt nicht mehr rechtzeitig zum Klo, und es pinkelt in einen Pappbecher oder einen leeren Saftkarton. Man gibt den Inhalt eines handlichen, brieftaschengroßen Tütchens von diesem Zeug dazu, und schwupp, schon ist es fest. Neutral, geruchlos, absolut hygienisch. Man wirft’s in den Abfalleimer, und es -193—
    wandert auf den Müll.«
    Sie kamen an einer weiteren Lichtschlaufe vorbei, und Laney sah, daß von den Rändern einer Stufe winzige Stalaktiten herunterhingen. »Die haben dieses Zeug benutzt …«
    »Massenweise. Andauernd. Zuletzt mußten sie’s absägen …«
    »Und jetzt …«
    »Natürlich nicht mehr. Aber die Grotte haben sie so gelassen.«
    Eine weitere Treppe. Eine weitere Schlaufe, die geisterhaftes Unterwasserlicht spendete.
    »Was haben sie mit den Stücken gemacht?« fragte er.
    »Das möchte ich lieber nicht wissen.«
     
    Völlig erledigt und mit schmerzenden Knöcheln kam Laney aus der Grotte heraus und betrat einen undefinierbaren Raum mit schwarzen Wänden, dessen charakteristische Merkmale das blaue Licht und die senkrechten Streben vergoldeter Träger waren. Nach den chemisch gefrorenen Pissefresken war das Western World eine Enttäuschung. Ein leergeräumter Büroblock, hergerichtet mit nicht zueinander passenden Sofas und unscheinbaren Tresen. Mitten im Vordergrund ragte etwas auf. Er schaute erstaunt hin. Ein Panzer. Amerikanisch, dachte er, und alt.
    »Wie haben sie den denn hier raufgekriegt?« fragte er Arleigh, die gerade jemandem ihren schwarzen Mantel gab.
    Und wieso war der Boden nicht durchgebrochen?
    »Ist aus Harz«, sagte sie. »Eine Membranskulptur.
    Stereolithographie. Typisch Otaku: Sie bringen das Ding stückweise rauf und kleben es zusammen.«
    Blackwell hatte seinen Viehtreibermantel abgegeben und ein Kleidungsstück enthüllt, das einer Anzugjacke ähnelte, aber aus einem leicht angelaufenen Aluminiumgewebe zu bestehen -194—
    schien. Was für ein Stoff es auch war, die Menge hätte für eine Doppelbettdecke gereicht. Er durchquerte das Labyrinth aus Sofas und niedrigen Tischen mit der gleichen mühelosen Entschlossenheit, und Laney und Arleigh wurden in seinem Schlepptau mitgezogen.
    »Das ist ein Sherman-Panzer«, sagte Laney in Erinnerung an eine CD-ROM in Gainesville über die Geschichte der Panzerfahrzeuge. Arleigh schien ihn nicht gehört zu haben.
    Aber wahrscheinlich hatte sie auch nie mit CD-ROMs gespielt.
    Die Zeit in einem staatlichen Waisenhaus brachte es so mit sich, daß man mit überholten Medienplattformen vertraut wurde.
    Wenn Arleigh recht hatte und das Western World als eine Art Touristenattraktion aufrechterhalten wurde, dann hätte Laney gern gewußt, wie das Publikum in der

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