Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
eine Linie zu überschreiten. In der schieren Struktur ihres Gesichts, in den geometrischen Proportionen der darunterliegenden Knochen lagen kodierte Geschichten von dynastischem Kampf, Entbehrung und schrecklichen Wanderungen. Er sah steile Bergwiesen mit steinernen Grabmalen, deren Stürze mit feinem Schnee bedeckt waren.
    Eine Reihe zotteliger Packponys, deren Atem vor Kälte weiß war, folgte einem Pfad am Rand einer Schlucht. Die Windungen des Flusses unten waren Pinselstriche aus fernem Silber. Eiserne Pferdeglocken klirrten in der blauen Abenddämmerung.
    -205—
    Laney erschauerte. Ein Geschmack von verrottetem Metall in seinem Mund.
    Die Idoru, Botschafterin eines imaginären Landes, schaute ihm in die Augen.
    »Da wären wir.« Arleigh neben ihm, die Hand an seinem Ellbogen. Sie zeigte auf zwei Plätze am Tisch. »Alles in Ordnung?« fragte sie leise. »Ziehen Sie sich die Schuhe aus.«
    Laney sah Blackwell an, der die Idoru anstarrte. Sein Gesicht zeigte so etwas wie Schmerz, aber der Ausdruck verschwand, weggesaugt hinter die Maske seiner Narben.
    Laney tat wie geheißen, hockte sich hin und zog seine Schuhe aus. Er bewegte sich, als wäre er betrunken oder als träumte er, obwohl er wußte, daß keins von beidem der Fall war, und die Idoru lächelte, von innen heraus leuchtend.
    »Laney?«
    Der Tisch war über einer Mulde im Fußboden aufgestellt.
    Laney setzte sich, rückte die Beine unter dem Tisch zurecht und umfaßte sein Kissen mit beiden Händen. »Was?«
    »Alles in Ordnung?«
    »In Ordnung?«
    »Sie haben ausgesehen, als wären Sie … blind.«
    Jetzt nahm Rez seinen Platz am Kopfende des Tisches ein, die Idoru zu seiner Rechten, jemand anders – Laney sah, daß es Lo war, der Gitarrist – zu seiner Linken. Neben der Idoru saß ein würdiger älterer Herr mit randloser Brille, dessen graue Haare aus der glatten Stirn nach hinten gekämmt waren. Er trug einen sehr schlichten, sehr teuer aussehenden Anzug aus einem glanzlosen schwarzen Material und ein weißes Hemd mit hohem Kragen, das kompliziert geknöpft war. Als dieser Mann sich zu Rei Toei umwandte und mit ihr sprach, sah Laney ganz deutlich, wie sich ihr leuchtendes Gesicht einen Moment lang in den beinahe kreisrunden Gläsern spiegelte.
    -206—
    Arleigh sog scharf die Luft ein. Sie hatte es ebenfalls gesehen.
    Ein Hologramm. Etwas Generiertes, Animiertes, Projiziertes.
    Er spürte, wie sich sein Griff um die Ränder des Kissens ein wenig lockerte.
    Aber dann erinnerte er sich an die Steingräber, den Fluß, die Ponys mit ihren eisernen Glocken.
    Knoten.
     
    Laney hatte Gerrard Delouvrier, den geduldigsten der tennisspielenden Franzosen von TIDAL, einmal gefragt, wieso gerade er, Laney, als erster (und, wie es sich ergab, einziger) Empfänger der eigenartigen Fähigkeit ausgewählt worden sei, die sie ihm zu verleihen suchten. Er habe sich nicht darum beworben, sagte er, und es spreche nichts dafür, daß die Position überhaupt ausgeschrieben worden sei. Er habe sich für eine Ausbildung im Kundendienst beworben, erklärte er Delouvrier.
    Delouvrier mit seinen kurzen, vorzeitig ergrauten Haaren und der Sonnenbankbräune lehnte sich in seinem Drehkippstuhl an der Workstation zurück und streckte die Beine aus. Er schien seine Wildlederschuhe mit den Kreppsohlen zu betrachten.
    Dann schaute er aus dem Fenster, auf rechteckige, beige Gebäude, eine anonyme Gartenlandschaft, Februarschnee.
    »Verstehen Sie nicht? Daß wir Ihnen nichts beibringen? Wir beobachten. Wir wollen lernen von Ihnen.«
    Sie waren in einem DatAmerica-Forschungspark in Iowa. Es gab einen Hallen-Court für Delouvrier und seine Kollegen, aber sie beschwerten sich pausenlos über dessen Belag.
    »Aber wieso ich?«
    Delouvriers Augen sahen müde aus. »Wir wollen nett sein zu die Waisen? Wir sind ein unerwartete Wärme im Innern von -207—
    DatAmerica?« Er rieb sich die Augen. »Nein. Ihnen ist etwas angetan worden, Laney. Vielleicht wollen wir das auf unsere Weise wiedergutmachen. Ist das das Wort,
    ›wiedergutmachen‹?«
    »Nein«, sagte Laney.
    »Zweifeln Sie nicht an Ihrem Glück. Sie sind hier bei uns, machen wichtige Arbeit. Es ist Winter in diese Iowa, stimmt, aber die Arbeit geht weiter.« Er sah Laney jetzt an. »Sie sind unser einziger Beweis«, sagte er.
    »Wofür?«
    Delouvrier schloß die Augen. »Es gab einen Mann, einen Blinden, der Echo-Ortung beherrschte. Schnalzt mit der Zunge, verstehen Sie?« Er demonstrierte es mit geschlossenen Augen.
    »Wie eine

Weitere Kostenlose Bücher