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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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redst du so? Wieso bist du so kaltherzig?«
    »Wie lange bist du bei uns?« fragte Fischer.
    »Zwei Monate, das weißt du doch! Man muß doch ein Mitgefühl mit der Frau haben!«
    »Setz dich.«
    »Was?«
    Er setzte sich auf die oberste Stufe und lehnte sich ans Metallgeländer mit dem blauen Plastiklauf.
    »Setz dich«, wiederholte er.
    »Nein! Wieso hast du kein Mitgefühl mit der Frau?«
    Fischer beugte sich nach vorn, zog sein Jackett aus und legte es sich über die Knie. Im Treppenhaus war es kühl. »Wir haben in der Wohnung nichts zu suchen. Die Zustände in dieser Ehe gehen uns, zumindest heute, nichts an, genausowenig wie die Dinge, die der Kellner in seinem Badezimmer aufbewahrt. Wir führen Befragungen durch, weil wir eine Spur finden müssen, die zum Leben der toten Frau aus dem Schrank zurückführt, wir haben keine Zeit, Mitleid zu verteilen.«
    Liz merkte nicht, daß ihr der Mund halb offenstand. Sie starrte Fischer an, stumm vor Wut und vor Schreck. Als sie sich wieder gefaßt hatte und etwas erwidern wollte, sagte er: »Verschwende dich nicht, Liz.«
    »Das ist doch meine Sache, wenn ich mich verschwende und wegen was! Das geht dich doch nichts an! Ich hab gedacht, du bist sowas wie ein…« Ein Sekundengrinsen verzerrte ihren Mund. »Wie ein gottesfürchtiger Mensch, einer, der die Menschen liebt und der lieber einmal zuviel als…«
    Er stand auf.
    »Du arbeitest zum erstenmal mit mir im Team, du mußt dich noch an mich gewöhnen.«
    »Muß ich gar nicht! Wieso hast du mich überhaupt ausgewählt? Du bist doch sonst immer mit Esther zusammen, wollt sie dich nicht mehr?«
    »Sie hat zu tun, wie du weißt, sie ist bei den Jugendlichen, die die Leiche gefunden haben.«
    »Und wieso ich? Wieso nicht Gesa oder Walter oder Emanuel?«
    »Möchtest du ausgetauscht werden?«
    »Ja!« sagte sie und wandte ihm den Rücken zu. Einen Schritt von ihm wegzugehen, schaffte sie aber nicht, und weil sie nicht verstand, wieso, drehte sie sich zornig zu ihm um. »Kein Wunder, daß die dich im Kloster rausgeschmissen haben!«
    »Wie du weißt, habe ich freiwillig den Habit abgelegt.«
    »Was abgelegt? Ich find, so kann man nicht reagieren als Polizist, auch nicht, wenn man wegen einer anderen Sache im Einsatz ist. Ich bin da, um den Leuten beizustehen, wenn sie Hilfe brauchen, und zwar immer!«
    »Ich auch.«
    »Und warum tust du dann nichts?« Liz blickte zum Fenster.
    »Bevor ich ins Hundertelfer gekommen bin, hieß es überall, du wärst ein außergewöhnlicher Kriminalist, ein besonderer Vernehmer, der eine Menge Privilegien hat.«
    »Drei.«
    »Was?«
    »Wir haben uns auf drei Ausnahmen für mich geeinigt: Erstens, ich führe meine protokollierten Gespräche allein durch, und zwar, zweitens, in einem eigens für mich reservierten Raum, und drittens: Ich bin nicht gezwungen, bei Ermittlungen vor Ort einen Kollegen oder eine Kollegin mitzunehmen.«
    »Versteh ich«, sagte Liz und sah weiter zum Fenster. »Und warum bin ich dann hier? Warum machst du die Tour nicht allein? Dann kämst du schneller voran, dann würd dich niemand mit seinem Mitleidsgefasel aufhalten.«
    Fischer senkte den Kopf und verharrte. Dann stand er auf, zupfte Fusseln von seinem Sakko und zog es an. »Ich sage dir, warum ich die Tour nicht allein machen wollte.«
    Und dabei war er überzeugt gewesen, daß er das Thema gegenüber niemandem ansprechen würde, wie jedes Jahr an diesem Tag.
    »Ich wollte mich heute nicht nur auf meine Intuition und Konzentration verlassen.« Er zögerte. »Heute ist der vierzigste Todestag meiner Mutter.«
    Liz wandte sich vom Fenster ab und kam näher.
    »Eine Wiederholung«, sagte Fischer. »Wie ein Film, der jedes Jahr an einem bestimmten Tag läuft, und in manchen Jahren auch noch an anderen Tagen. Der See, die Sonne, Mutters Haare, ihre Arme, ihr grüner Badeanzug, so grün wie das Kleid der toten Frau im Keller. Ich schau hin und sehe meine Mutter da liegen. Du wirst mitgekriegt haben, daß ich von gewissen Methoden der Tatortanalyse nicht viel halte, das macht mich zu einem Außenseiter unter den Kollegen. Aber daß ich meine Mutter da liegen sehen muß, ausgerechnet heute, das brauche ich nicht. Mir genügt meine Erinnerung, und die dauert jetzt schon, auf den Tag genau, vierzig Jahre.«
    »Aber du bist doch noch nicht mal fünfzig«, sagte Liz.
    »Übermorgen werde ich einundfünfzig«, sagte Fischer und nahm ihre Hand, und Liz hielt die seine fest.
    3
 
Liz und die Wörter
    N ach einem Brand im

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