If You Stay – Fuereinander bestimmt
durchsichtig ist. Und mein Vater sitzt anstelle der Särge vorn in der Kirche. Und anstatt im Sonnenlicht, das hereinfällt, sitzt er im Schatten.
Mein Puls rast, denn dies ist das erste Mal, dass einer meiner Eltern in einem Traum auftaucht. Es tut so gut, das Gesicht meines Vaters zu sehen. Ich will den Gang hinunter auf ihn zueilen, aber meine Füße bewegen sich nur schwerfällig. Es ist so frustrierend, denn ich möchte laufen und meine Füße wollen mir einfach nicht gehorchen. Doch schließlich erreiche ich ihn.
Ich stehe vor ihm und starre ihn an. Er trägt sein verwaschenes grünes Flanellhemd und seine alte Jeans, die, die er immer trug, wenn er im Garten arbeitete.
Er lächelt.
»Hallo, Krümel.«
»Hallo, Daddy«, bringe ich stockend heraus, »schön, dich zu sehen.«
Er lächelt, wie ich es schon unzählige Male über die Jahre hinweg gesehen habe, und breitet die Arme aus. Ich lasse mich hineinsinken, und er riecht wie immer nach Old Spice und Pfefferminz. Ich atme den Geruch tief ein, dabei kommen mir die Tränen, und ich umarme ihn ganz fest.
Aber nach einer Weile weicht er zurück.
Ich sehe ihn an, die großen Hände, die mich tausendmal gehalten haben, die meinen Hund gebadet, mein Fahrrad geschoben und meine Mutter geschlagen haben. Ich schlucke und blicke in seine Augen.
»Daddy, warum hast du Mom geschlagen?«
Er scheint überrascht und auch ein wenig erschrocken, hält die Hände in die Höhe, Handflächen zum Himmel.
»Ich weiß es nicht«, sagt er leise. »Weil ich nicht perfekt bin. Deine Mutter und ich hätten uns Hilfe für unsere Ehe suchen sollen. Wir haben uns geliebt, aber es war eine ungesunde Beziehung. Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.«
»Wie kann man jemanden lieben, ihm aber zugleich weh tun?«, frage ich und fühle, wie mir die Tränen über die Wangen laufen. Dad wischt sie mit seiner großen Hand ab.
»So ist der Mensch nun einmal«, sagt er leise. »Manchmal tun wir denjenigen weh, die wir am meisten lieben.«
»Aber man sollte niemals jemandem auf diese Weise weh tun«, entgegne ich. »Wer das tut, ist ein Feigling.«
Dad starrt mich an. »Nun, vielleicht war ich ein Feigling. Aber ich war dennoch ein guter Mensch, der einfach jähzornig war. Ich liebe dich, Krümel.«
Ich stehe wie angewurzelt da, und mit einem Mal fühle ich mich ganz taub, als mir etwas klarwird. Aus irgendeinem Grund begreife ich nun, was mir diese blöden Träume mit dem schwarzen und dem weißen Sarg, dem Sonnenschein und dem Schatten die ganze Zeit zu sagen versucht haben.
Im Leben ist nicht alles schwarz und weiß. Menschen sind nicht entweder nur gut oder nur böse. Ich habe mich nach dem Tod meiner Eltern so sehr auf den Sinn des Lebens konzentriert, dass ich diese Tatsache vergessen habe, denn tief in meinem Inneren, auch wenn ich es mir selbst nicht eingestehen wollte, hat mich diese unbeständige Beziehung meiner Eltern sehr belastet. Und ich glaube, ich habe sie verurteilt.
In Wahrheit ist das Leben eine Mischung aus Gut und Böse, aus den unterschiedlichsten Grautönen, aus Schwarz und Weiß in all seinen Schattierungen. Ich glaube, dass ich mich immer davor gefürchtet habe, eine Beziehung mit jemandem zu beginnen, weil ich Angst hatte, in einer ähnlichen Situation zu landen wie meine Eltern oder einen Fehler zu begehen.
Aber zu leben, das heißt, Fehler zu machen.
Ich schlucke schwer und sehe meinen Vater an.
»Ich liebe dich, Daddy.« Er nickt, und seine Augen sind voller Güte und Liebe. »Ich vermisse dich.«
»Ich weiß«, sagt er. Und obwohl er still dasitzt, beginnt er, zu verschwinden, bis er nicht mehr da ist und ich allein bin.
Aber ich bin gar nicht allein. Ich kann Pax spüren, auch wenn ich ihn nicht sehen kann. Ich drehe mich um, und er ist nicht da.
Und dann bin ich mit einem Mal wach und schaue in seine Augen.
»Geht es dir gut?«, flüstert er. »Du hast geträumt.«
Seine Arme schließen sich fester um mich.
»Ich hatte gerade einen ganz merkwürdigen Traum«, erwidere ich. »Ich habe zum ersten Mal seit seinem Tod von meinem Vater geträumt. Ich habe ihn gefragt, warum er meine Mutter geschlagen hat, und er hat mir im Grunde gesagt, dass er ein Mensch mit Fehlern gewesen ist. Aber dennoch ein guter Mensch. Und dass er und meine Mutter zur Eheberatung hätten gehen sollen.«
Pax sieht mich an. In seinen Augen liegt ein warmer Ausdruck.
»Du hast recht«, sagt er schließlich. »Ein Mensch kann Fehler haben, aber immer noch ein guter
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