Ihr Kriegt Mich Nicht!
Iv genannt wurde, stand im grünen Trainingsanzug vor der Klasse, eine Stoppuhr in der Hand und eine Trillerpfeife um den Hals.
»So, so«, sagte er und schaute auf seine Armbanduhr. »Möchte bloß mal wissen, warum es so verflixt schwierig ist, pünktlich zu sein? Na gut, fangen wir also noch mal von vorne an. Heute machen wir einen Test. Ihr sollt fünfundzwanzig Meter schaffen, eine Bahn, das gibt dann eine Drei. Stellt euch hier an der dritten Bahn in einer Reihe auf.«
Dann pfiff er auf seiner Trillerpfeife.
Andreas drängte sich vor, federte auf dem Startblock, schüttelte Arme und Beine und wärmte sich mit Hüpfen und Rumpfbeugen auf. Mik wurde irgendwo in der Mitte hinter Ploppy herumgeschubst. Vom Chlorgeruch wurde ihm übel. Er dachte an den Deutschen, Peter Hirvell.
Iv pfiff wieder auf seiner Pfeife.
»Alle, die wissen, dass sie nicht schwimmen können, treten bitte aus der Reihe! Ich zieh euch nicht aus dem Wasser. Wie ihr seht, hab ich mich nicht mal umgezogen.«
Iv lief die Reihe entlang und musterte sie wie ein Feldwebel.
»Also, alle, die wissen, dass sie keine ganze Bahn schaffen, begeben sich so lange zum warmen Kinderbecken.«
Es wurde gekichert und über die Schultern geschaut, aber niemand trat aus der Reihe. Iv blieb bei Mik stehen, packte mit kalten, rauen Riesenhänden seine Schultern und drehte ihn um.
»Was hast du gemacht? Woher hast du die blauen Flecken?«
Mik sah zu ihm hoch.
»Hab mich mit dem Fahrrad hingelegt.«
Andreas wandte sich oben auf dem Startblock um, zappelig und voller Ungeduld.
»Der hat doch gar kein Fahrrad. Fangen wir jetzt endlich an?«
Iv machte ein bekümmertes Gesicht. Er zupfte sich ein Haar aus der Nase, blies in die Pfeife und holte die Stoppuhr heraus.
»Ihr könnt einen Startsprung machen oder einfach so reinspringen. Ich stoppe die Zeit. Los geht’s!«
Andreas schoss kopfüber ins Wasser, legte die ganze Bahn kraulend zurück, hievte sich aus dem Becken und klatschte dann in die Hände, als hätte er eine olympische Goldmedaille gewonnen. Iv pfiff, und der Nächste sprang ins Wasser. Manche schwammen Brust, andere kraulten, und einige bewegten sich auf unbestimmbare Art und Weise durchs Wasser. Iv pfiff und verkündete die Zeiten. Keiner schaffte es, Andreas zu schlagen. Ploppy schwamm entspannt auf dem Rücken, kam vom Kurs ab und schwamm im Zickzack. Er schwamm eine miserable Zeit, wurde aber für seine gute, wenn auch etwas wacklige Technik gelobt.
Mik stieg auf den Block. Iv hatte die Trillerpfeife im Mund und wollte schon pfeifen, als Åsa ganz hinten in der Reihe zu weinen begann. Iv spuckte die Pfeife aus und ging zu ihr.
Mik wartete auf den Pfiff und schaute in das blaue Wasser, sah weit unten in der Tiefe die Kacheln wogen. Er ballte die Fäuste.
»Jetzt spring doch endlich!«, schrie Andreas.
»Mach voran!«, sagte jemand hinter ihm.
»Ein bisschen dalli!«
Åsa weinte.
»Macht schon mal weiter«, sagte Iv. »Ich stoppe eure Zeit.«
Dann blies er in die Trillerpfeife.
Mik stürzte sich vom Block.
»Ich glaub, ich hab … meine Tage gekriegt«, sagte Åsa.
Die Entfernung bis zur Wasseroberfläche war kurz. Aber der Sprung dauerte eine Ewigkeit. Glaubte er an ein Wunder? Oder an einen Weltrekord? Die Entscheidung für den Sprung war nicht schwer gewesen. Bei jedem Atemzug starb schließlichirgendwo ein Mensch. Zur Zeit des Schwarzen Todes war jeder Dritte gestorben. Er würde Tony vermissen, Tony war der Einzige, den er vermissen würde, ja, und Ploppy natürlich, aber vor allem Tony. Der beste Bruder der Welt. Es tat ihm leid. Zu dumm, aber trotzdem zögerte er nicht. Die Entscheidung zwischen dem Ertrinken und dem warmen Kinderbecken war hart, aber nicht schwer. Vielleicht stimmte ja die Geschichte von Nangijala aus Die Brüder Löwenherz . Aber wenn nicht – wo würde er dann landen?
Mik durchbrach die Oberfläche und sank in die Tiefe. Er wurde weich aufgefangen, von Blasen und wirbelndem Wasser eingehüllt. Es geschah kein Wunder, er zappelte mit Armen und Beinen, sank aber immer tiefer, bis auf den Beckengrund. Der Weltrekord im Luftanhalten unter Wasser lag bei sechs Minuten und drei Sekunden. Manche hatten es sogar noch länger ausgehalten. Aber die hatten dann vor dem Tauchen hyperventiliert oder reinen Sauerstoff eingeatmet. Das war Beschiss.
Sechs Minuten und drei Sekunden – würde er diesen Rekord brechen können?
Seine Trommelfelle schmerzten. Das Gesicht nach oben gewandt, blieb er auf den
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