Ihr Kriegt Mich Nicht!
hob einen Stein auf und schrie: »Scheiß Höhlenmenschen!«
Dann warf er den Stein und traf ein Zelt. Keine Reaktion. Jetzt legten sie sich alle ins Zeug. Andreas wuchtete einen Riesenstein wie beim Kugelstoßen hinunter. Stefan warf, bis er blau wurde. Es regnete Steine.
Dann krachte ein Zelt zusammen.
»Zum Henker, hört endlich auf!«
Die Steine sausten durch die Luft, und die Menschen unten krabbelten aus ihren Behausungen, verdreckt, behaart, müde.
Für Mik waren das böse, unheimliche Wesen, keine Menschen. Schmierige, modrige Zombies, die aus ihrer Höhle gekrochen kamen und von der Sonne getroffen wurden. Sie hielten die Arme über den Kopf und versuchten zu entkommen. Ein Zelt nach dem andern brach zusammen, und eine Plane wurde zerfetzt.
Steine fielen vom Himmel.
»Ich hasse alle beschissenen Alkis!«, schrie Mik und warf weiter.
»Verfluchte Rotznasen, hört auf!«, schrien die unten, während sie Schutz suchten.
Die Alte quetschte ihre Fleischmassen unter einer Plane hervor und hockte sich zum Pinkeln hin, ohne sich um die Steine zu scheren, die ringsum niederprasselten.
»Ihr versoffenen Filzläuse!«, schrie Mik. »Verrrrreeckt doch!«
Er warf und warf und warf. Geriet in Rage. Drehte ganz und gar durch. Er hob einen großen, scharfkantigen Stein auf. Ploppy drückte seinen Arm nach unten.
»Es reicht. Komm, wir hauen ab. Das bringt’s doch nicht! Andreas und Stefan sind schon weg.«
Mik versuchte zu werfen, aber Ploppy hinderte ihn daran.
»Das reicht jetzt. Ich verschwinde hier.«
»Verrrreeckt doch!«, schrie Mik. »Sauft, bis ihr verreckt. Am besten gleich Hundertprozentigen!«
Jemand kam aus einem noch stehenden Zelt gekrochen. Ein struppiger Penner in einer schmutzigen babyblauen Steppjacke. Mik schleuderte seinen Stein und ließ den Arm ausgestreckt,als wollte er seinen Wurf ins Ziel lenken. Der Stein zischte durch die Luft. Beschrieb eine perfekte Bahn. Der Penner dort unten drehte sich um. Ihre Blicke trafen sich. Mik sah gelbe, kranke Augen.
Klonk! Mitten auf die Stirn.
Der Mann fiel und blieb liegen.
»Au«, sagte Mik.
Dann rannte er los.
Frau Lind baute einen alten Projektor im Klassenzimmer auf.
»Wir werden uns Bilder vom früheren Hagalund anschauen«, erklärte sie. »Damit ihr wisst, wie es hier aussah, bevor alles abgerissen wurde und die blauen Hochhäuser gebaut wurden. Eine Geschichtsstunde über eure eigene Gegend. Über den Ort, wo ihr wohnt. Das ist sehr interessant.«
Andy meldete sich: »Können wir’s uns nicht lieber im Internet angucken?«
»Nein, und zwar, weil die neuen Computer noch nicht da sind. Seit dem letzten Einbruch ist der Computerraum leer. Die neuen kommen erst in drei Wochen.«
Åsas Handy klingelte.
Frau Lind deutete auf die ganze Klasse: »Jetzt sag ich es zum letzten Mal: Lasst die Handys ausgeschaltet, sonst müsst ihr sie morgens vor dem Unterricht abliefern! Ich werde mit dem Rektor sprechen. Keine Stunde vergeht mehr, ohne dass …«
Die Tür des Klassenzimmers flog auf, und der Rektor kam hereingestürzt. Alle starrten ihn verwundert an, und Frau Lind verlor den Faden.
»Wir wollten gerade …«
Der Rektor, ein dicker Mann in blauem Hemd und Krawatte, starrte mit irrem Blick in die Klasse. Unter seinen Armen zeichnetensich dunkle Schweißflecken ab, sein Gesicht leuchtete dunkelrot.
»Ich bin außer mir«, keuchte er. »Ich habe hier an der Schule zwar schon viel erlebt, aber das schlägt dem Fass den Boden aus …«
Die Schüler sahen einander an und begriffen gar nichts. Hatte er Åsas Handy gehört, oder was? Hatte er draußen an der Tür gehorcht?
Kaum.
Der Rektor ging wieder hinaus und kam mit einem Mann zurück, der eine babyblaue Steppjacke trug. Eine Steppjacke mit blutigen Streifen auf der Brust. Er hielt ein Handtuch gegen die Stirn gepresst. Auch das war blutig. Der Rektor wandte sich an Frau Lind: »Ihre Klasse war die einzige, die zwischen neun Uhr zwanzig und neun Uhr vierzig Pause hatte. In der Zeit ist das hier passiert.«
Schreckensstarr sah Mik den Mann an. Der hier? Wie war es möglich, dass der sich hierher, in diese Welt, verirrt hatte? Große schwarze Pupillen in gelben Augäpfeln. Sie sahen einander an. In Miks Kopf hämmerte es. Der struppige, bärtige Mann hielt das Handtuch an die Stirn gepresst, hob langsam den rechten Arm und deutete auf ihn.
»Der da hat den Stein geworfen.«
Nach Schulschluss musste Mik noch bleiben. Er saß in seiner Bank, Frau Lind nahm einen Stuhl und
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