Ihr schafft mich
beschränkt sein. Eine Schulklasse ist bereits ein soziales System. Der Lehrer kommuniziert mit den Schülern auf eine ganz bestimmte Weise und auch die Schüler kommunizieren untereinander auf eine bestimmte Weise. Durch dieses Kommunizieren entsteht ein System.
Bei ihrer Kommunikation befolgen Schüler und Lehrer Regeln. Die sind zum einen von auÃen festgelegt. Im Unterricht dauernd aufzustehen und rumzulaufen, ist nicht angesagt. Wenn einer trotzdem dauernd rumläuft, bekommt er aber nicht nur möglicherweise vom Lehrer einen Verweis. Auch aus dem System selbst heraus werden Regeln durchgesetzt. Wenn ein Schüler plötzlich herumläuft, würde wohl auch der eine oder andere Mitschüler fragen: »Spinnst du?« Denn wer in einem Regelgerüst lebt, findet es oftmals bedrohlich, wenn ein anderer dieses Gerüst zum Wackeln bringt.
Im System »Schulklasse« kommunizieren die Schüler also nach Regeln, die sie untereinander festlegen â ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Wenn der Biologie-Lehrer eine Frage stellt, erwarten 28 der 29 Schüler der Klasse, dass Alexander (er kann natürlich auch anders heiÃen) sofort den Arm hochreiÃt. Denn er ist der Oberstreber in der Klasse. Das weià er auch selbst. Zwar steckt er nicht immer gern in dieser Rolle . Aber er nimmt die Rolle im System Schulklasse ein. Er weiÃ, dass er sich lächerlich machen würde, wenn er versuchte zu wirken wie einer von den Coolen. Also lässt er es meistens sein. Und ist eben der Streber. Immerhin wollen die andern ja ab und zu von ihm abschreiben.
Das Babuschka-Prinzip
Ein kleines soziales System â die Schulklasse â steckt dabei in einem gröÃeren System, der Schule. Die gesamte Schule ist nicht nur ein gröÃeres soziales System, sie ist noch etwas mehr. Sie ist eine Institution . Sie hat nicht nur feste Regeln (um acht Uhr läutet die Glocke, aber nur montags bis freitags; der Direktor gibt dem Hausmeister Anweisungen und nicht umgekehrt, und so weiter), sie hat auch ein festes Gebäude. Die Schule ihrerseits ist Teil eines noch gröÃeren Systems, das eigene Regeln besitzt. Das Bildungssystem hat in Deutschland beispielsweise die Regel, dass für Zehnjährige schon eine wichtige Vorentscheidung getroffen wird, was sie als 60-Jährige arbeiten (oder nicht arbeiten). Denn in diesem Alter entscheidet sich, welche Art von sogenannter weiterführender Schule sie besuchen. Die Kernfrage lautet dabei: Gymnasium oder nicht?
Das Bildungssystem wiederum wird von anderen Systemen beeinflusst, vor allem vom politischen System. Denn die Frage, ob man Zehnjährige wirklich auf verschiedene Schularten aufteilen sollte, wird zum Beispiel politisch entschieden und durch Gesetze festgeschrieben. Aber auch das gesellschaftliche System der Kirchen hat Einfluss aufs Bildungssystem. Unterricht in Religion oder Ethik oder auch im Fach Islamische Unterweisung ist Teil der Schulpflicht. Die Systeme stecken ineinander wie die russischen Babuschka-Holzpuppen.
Leben heiÃt: verändert werden
Wer also nicht gerade allein auf einer Wiese sitzt, so weit weg von allen andern, dass ihn niemand sehen oder hören kann, bewegt sich immer in sozialen Systemen. Diese Systeme werden zum einen durch die geformt, die in ihnen etwas tun. Gleichzeitig formen die Systeme aber auch die Menschen, die in ihnen leben. Jeder formt also jeden. Ständig. Selbst wer sagt, dass er sich nicht formen lässt, dass er zu keiner Gruppe gehören will, kann sich nicht dagegen wehren, dass er von andern stets einer bestimmten Gruppe zugeordnet wird.
Die einen empfinden das Gewebe der Rollen, Regeln und Systeme als angenehm und wärmend. Die anderen fühlen sich darin wie in einer Zwangsjacke. Und sie stellen sich vielleicht Fragen wie diese: Kann ich mich von den Regeln und Rollen nicht befreien? Kann ich nicht raus aus den Systemen, in denen ich stecke? Warum kann ich nicht aus der Bundesrepublik Deutschland austreten? Wieso kann ich nicht sagen: Ich will nicht Teil von irgendetwas sein. Auch nicht Teil dieses Staates mit seinen Regeln und Gesetzen.
Kapitel Zehn
Woher nimmt er sich das Recht? Er , der Staat â¦
Warum Menschen sich Gesetze geben. Warum es furchtbar viele Gesetze gibt. Und warum es wohl nicht viel weniger sein können.
An seine Geburt erinnert sich niemand. Die Eltern tun es meistens schon. Wer nun seine Eltern fragt, ob denn damals irgendjemand von
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