Ihr schafft mich
Baden-Württemberg geworden war, flog auch schon mal der Schuh eines Protestierers in seine Richtung. Weil Kretschmann plötzlich zu denen gehörte, die politische Entscheidungen umsetzen. In diesem Fall war es das Bauprojekt »Stuttgart 21«, das den Schuhwerfer so ärgerte, dass er den grünen Ministerpräsidenten attackierte.
Dabei ist es bei Themen wie Bahnhofsneubau oder Kernenergie noch relativ einfach. Entweder man macht es oder man lässt es sein. Entweder man lässt Atomkraftwerke laufen oder man schaltet sie ab. Bei anderen Politikbereichen wie Steuern, Bildung oder Gesundheit ist die Sache tausendmal komplizierter. Hier geht es ständig nur darum, nicht seine eigenen Ideen durchzusetzen, sondern mit anderen Leuten Kompromisse auszuhandeln. Das muss erst einmal nichts Schlimmes sein. Aber wer dauernd Kompromisse schlieÃt, gerät in die Gefahr, dass er irgendwann gar nicht mehr weiÃ, was er für wirklich richtig hält. Und was für wirklich falsch .
Feind, Todfeind, Parteifreund
Politiker werden aber nicht nur durchs ständige KompromisseschlieÃen laufend weiter sozialisiert. Sie müssen auch stets damit rechnen, dass andere sie wegboxen wollen. Und zwar nicht nur Politiker aus anderen Parteien, sondern auch die sogenannten Parteifreunde. Egal in welcher Partei: Ãberall krachen ständig die Egos der Politiker aufeinander. Denn viele möchten nach oben. Doch dort ist nicht genug Platz für alle. Innerhalb der Parteien fliegen also ständig die Fetzen. Es ist ein alter, aber immer noch beliebter Scherz: Was ist die Steigerung von »Feind«? Die Antwort: »Feind â Todfeind â Parteifreund.«
Der Politikbetrieb ist also keine Kuschelveranstaltung. Nach auÃen wollen die Parteien aber als Bund guter Freunde auftreten. Das führt dazu, dass Politiker laufend unehrlich sein müssen. Wenn der eine vom andern denkt : »Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen«, dann darf er das auf keinen Fall sagen . Als der CDU -Politiker Ronald Pofalla im Jahr 2011 genau diesen Satz über seinen Parteifreund Wolfgang Bosbach trotzdem sagte, war die Aufregung groÃ. Klüger wäre es gewesen, wenn Pofalla gesagt hätte: »Wir sind nicht immer ganz einer Meinung, aber wir arbeiten insgesamt hervorragend zusammen.« Das wäre zwar eine glatte Lüge gewesen, doch solche Lügen werden von Politikern erwartet. Sie gehören zu ihrer Rolle.
Und wenn es um den Umgang mit den Politikern anderer Länder geht, wird die Lüge zur Alltagssprache. Das heiÃt dann Diplomatie. Politiker aus Deutschland oder auch den USA pflegen freundschaftliche Kontakte mit Diktatoren, solange sie sich etwas für ihr eigenes Land versprechen. Der libysche Diktator Ghaddafi war jahrzehntelang ein durchaus akzeptierter Gesprächs- und Verhandlungspartner. Nicht weiter verwunderlich, schlieÃlich war sein Land ja einer der wichtigsten Ãllieferanten Deutschlands. Irgendwann, als Ghaddafis eigenes Volk ihn stürzte, wandten sich die Regierungen anderer Staaten von ihm ab. Auch die deutsche.
Dass die Scheichs, die diverse Länder in Arabien regieren, kein bisschen von Demokratie halten und ihre Völker nach allen Regeln einer Diktatur unterdrücken â auch das stört in der Welt der internationalen Diplomatie nicht. Es ist halt so. Das nimmt man zur Kenntnis. Und befasst sich ansonsten mit der Frage, was das Ãl kostet, das diese Länder liefern. Wenn man sich nicht gerade mit der Frage beschäftigt, welche Industrieanlagen oder auch Panzer diese Länder kaufen möchten. So sind die Regeln des Spiels, das sich AuÃenpolitik nennt.
Die Zeiten ändern sich â und auch die Wähler.
Das Politik-System sorgt also geradezu automatisch dafür, dass der Charakter der Politiker verbogen wird. Das führt dazu, dass â zumindest einige von ihnen â immer mal wieder Dinge tun, die man besser nicht tun sollte. Sich bestechen lassen zum Beispiel. In vielen Ländern dieser Welt heiÃt Politiker sein oft: raffen, was man ohne allzu groÃe Gefahr zusammenraffen kann. In Deutschland, Ãsterreich oder der Schweiz geht es zwar nicht so zu wie in manchen Staaten Afrikas oder Südamerikas. Aber auch hier gibt es Korruption . Die läuft dann nicht so plump, dass Politiker sich Briefumschläge mit dicken Geldbündeln zustecken lassen. Eher schon gibt es günstige Kredite oder nette Einladungen in hübsche
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