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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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zurecht, die Unterhaltungsindustrie. Wird schon nicht pleitegehen. Ob sie damit recht haben, ist ein eigenes Thema. Interessant ist aber vor allem eines: Lisa und ihre Freunde können beim besten Willen nicht erkennen, warum es Unrecht sein soll, was sie tun. Ihnen fehlt das Unrechtsbewusstsein . Auch ihr Über-Ich meldet sich nicht (siehe Kapitel 7). Sie verstehen gar nicht, warum es die Norm des Urheberrechts gibt, und warum Autoren, Musiker, Grafiker geschädigt werden, wenn Millionen Menschen laufend gegen diese Rechtsnorm verstoßen. Im Gegenteil. Lisa und ihre Freunde würden es eher für einen Regelverstoß halten, wenn jemand etwa seine Musik nicht mit anderen teilt.
    Das Unverständnis der Alten
    Am Urheberrecht zeigt sich, wie innerhalb recht kurzer Zeit in einem bestimmten Bereich vor allem unter jüngeren Leuten neue Normen entstehen. Normen, die wiederum von älteren Leuten beim besten Willen nicht verstanden werden. So ist für viele, die vor 30 oder 40 Jahren angefangen haben, sich für Politik zu interessieren, ziemlich schleierhaft, wie so etwas wie die Piratenpartei so schnell bemerkenswerte Wahlerfolge erzielen konnte. Eine Partei, bei deren Gründung es vor allem um das Recht ging, Filme und andere Dateien kostenlos aus dem Internet holen zu dürfen.
    Die Piratenpartei präsentiert sich heute zwar vor allem als Partei der Bürgerrechte, mit Schwerpunkt Rechte im Internet. Doch Ausgangspunkt und Namensgeber ist die Internetplattform »The Pirate Bay«. Sie wurde gegründet, um ihren Nutzern freien Zugang zu Filmen und Musik zu ermöglichen. Ihre Wurzeln hat die Piratenpartei also beim Filesharing. Oder, wenn man es etwas drastischer formulieren möchte: beim bewussten Verletzen von Urheberrechten. Beim Werke-Klauen. Für eines sind die Piraten damit schon einmal ein Beweis: Manchmal ändern sich gesellschaftliche Normen und auch politische Regeln schneller, als man denkt. Was sich auch an einigen Normen zeigt, die doch ein ganzes Stück wichtiger sind als das Urheberrecht. Die Normen zur Frage »Wen darf ich lieben?« zum Beispiel.

Kapitel Siebzehn
    Die Regeln ändern sich. Und wir uns mit ihnen.
    Wie laufend das Undenkbare denkbar wird – und manchmal sogar Normalität.
    Stellen wir uns Georg vor. Um seinen vierzehnten Geburtstag herum merkt er, dass er anders ist als viele andere Jungs. Es schockiert ihn maßlos, als ihm klar wird, dass er ein Warmer ist, ein Schwuler . Wie sehr ihn das schockiert, wird noch klarer, wenn wir uns vorstellen, dass Georg im Jahr 1914 geboren wurde. Bald kann er vor sich selbst nicht mehr leugnen, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Das ist aber nicht nur peinlich. Es ist zu dieser Zeit auch verboten. Kriminell.
    Mit 18 geht Georg nach Berlin und versucht zu leben, wie er ist. Auch dort ist das im Jahr 1932 schwierig. Und es ist gefährlich, er landet immer wieder auf Polizeiwachen. Als 1933 die Nazis die Macht an sich reißen, gerät Georg endgültig ins Visier der Staatsmacht. Er wird immer wieder festgenommen. Nach Kriegsbeginn, als die Nazis immer hemmungsloser gegen alle vorgehen, die nicht in ihr verqueres Weltbild passen, wird er in ein Konzentrationslager gesperrt.
    Er überlebt die Misshandlungen, die Krankheiten, die lächerlichen Essensrationen, die ihn beinahe verhungern lassen. 1945 kommt er wieder in Freiheit. Seine Liebe zu Männern frei ausleben kann er aber immer noch nicht. Homosexualität bleibt nach dem Krieg erst einmal verboten. Haft im KZ droht Georg zwar nicht mehr, wenn er mit seinem Freund ins Bett geht, aber er muss weiterhin mit Strafen rechnen. Polizei und Staatsanwaltschaft interessieren sich zwar nicht mehr so sehr für die Schwulenszene von Berlin. Doch erst 1969 wird im westdeutschen Strafgesetzbuch der Paragraph 175 so geändert, dass Georgs Liebe zu Männern nicht mehr strafbar ist. Er macht eine Flasche Sekt auf.
    Es dauert eine ganze Zeit, bis er weitere Sektflaschen aufmacht, dafür werden es immer mehr. Auch in der DDR wird das Schwulsein Stück für Stück entkriminalisiert. Kurz vor der Wiedervereinigung wird Homosexualität auch im sozialistischen Deutschland aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen. Als der SPD -Politiker Klaus Wowereit seine Liebe zu einem Mann öffentlich macht und klar wird, dass ein Schwuler die deutsche Hauptstadt regiert, macht Georg wieder eine Flasche Sekt auf. Noch eine Flasche gibt es, als

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