Ihr schafft mich
Ferienhäuser. Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hat gezeigt, wie es aussieht, wenn ein Politiker sich zu sehr mit reichen Leuten einlässt, die als Freunde daherkommen.
Die Sozialisation im Politikbetrieb führt aber auch dazu, dass sich Politiker von den »normalen Leuten« entfernen, zu denen sie ganz am Anfang oft selbst einmal gehört haben. Gleichzeitig gehen »normale Leute« immer seltener aus dem Grund in die Politik, weil sie sagen: »Was die Rechten wollen, ist Mist â deswegen mache ich als Linker Politik« oder auch: »Was die Linken wollen, ist Mist â deswegen mache ich als Rechter Politik.« Heute gehen junge Leute oftmals in die Politik, weil sie dort nichts anderes als Karriere machen und ihr Ego ausleben wollen.
Sag mir, wo du herkommst â und ich sage dir, was du wählst.
Das kann man vielen jungen Karrierepolitikern auch fast nicht vorwerfen. Denn was als »links« zu gelten hat und was als »rechts«, das ist nicht mehr so klar, wie es vor einigen Jahrzehnten noch schien. Wahlforscher stellen schon seit vielen Jahren fest, dass die sogenannten Wähler- Milieus , die lange Zeit relativ stabil waren, immer mehr verschwimmen. Wer in den 60er-Jahren in Hamburg oder Duisburg in eine Arbeiterfamilie geboren wurde und später selbst Arbeiter wurde, bei dem war ziemlich wahrscheinlich, dass er in die Gewerkschaft ging und SPD wählte. Er wollte, dass die »kleinen Leute« mehr bekommen. Er wollte, dass die Reichen etwas abgeben. Er wollte, dass Arbeiter mehr Einfluss auf Entscheidungen von Firmen bekommen und Arbeiterkinder bessere Chancen an der Schule und der Uni haben sollten. So jemand war links . Das gehörte zu seinem Milieu. Und wenn er in die Politik ging, dann hatte er â zumindest am Anfang seiner Karriere â eine Erinnerung daran, wo er herkam und was er früher einmal politisch erreichen wollte.
Wer in Niederbayern oder im Münsterland in eine Bauernfamilie geboren wurde, bei dem war ziemlich wahrscheinlich, dass er selbst Bauer wurde, der katholischen Kirche treu blieb und CDU bzw. CSU wählte. Er hielt nicht viel davon, dass den einen etwas weggenommen wird, damit andere mehr bekommen. Denn für Bauern ist das Eigentum heilig â selbst dann, wenn sie selbst eigentlich nicht so viel besitzen. Auch dass Arbeiter in einem Betrieb etwas mitzureden haben sollen, würde so ein Bauer für keine gute Idee halten. Am Ende wollen die, die ihm beim Melken oder auf dem Acker helfen, auch noch etwas mitreden. Ein solcher Bauer war konservativ, er war rechts .
Wer irgendwo in Westdeutschland in eine Unternehmerfamilie geboren wurde und später selbst Unternehmer wurde, bei dem war ziemlich wahrscheinlich, dass er FDP oder CDU/CSU wählte. Von Arbeitnehmerrechtenoder Umverteilung hielt er nichts. Er war rechts oder liberal , denn das gehörte zu seinem Milieu. Wer in Ostdeutschland aus einer Arbeiterfamilie oder auch aus einer Beamtenfamilie stammte, bei dem war es nach 1990 erst einmal ziemlich wahrscheinlich, dass er Die Linke wählte.
Lechts und rinks
Die politischen Parteien waren aber nicht nur verschiedenen Milieus zugeordnet, ihre Politik wurde von den Bürgern auch über Gegensatzpaare wahrgenommen. »Die SPD kümmert sich um die Interessen der kleinen Leute, sieht zu, dass die Reichen hohe Steuern zahlen und die Arbeiter niedrige â CDU/CSU und FDP hingegen haben mehr die Interessen von Unternehmern, aber auch von Ladenbesitzern oder Ãrzten im Blick und kümmern sich darum, dass die Wirtschaft rundläuft«, so lässt sich ein solches Gegensatzpaar formulieren.
Die Zeiten, in denen solche Gegensatzpaare einigermaÃen passten, sind jedoch vorbei. Ein Beispiel: Der Spitzensteuersatz, also der höchste Prozentanteil, den Gutverdiener von ihrem Einkommen zahlen müssen, lag in den 1980er-Jahren bei 56 Prozent. Damals regierten zeitweise CDU und FDP . Deutlich unter 50 Prozent gedrückt wurde der Spitzensteuersatz von einer SPD -geführten Regierung im Jahr 1999. Hier haben also die Sozialdemokraten etwas auf den Weg gebracht, was man von Union und FDP erwartet hätte. Der Dichter Ernst Jandl könnte sich mit seinem spöttischen Spruch durchaus bestätigt fühlen: »Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern â werch ein Illtum«, hat er schon vor Jahrzehnten getextet.
Frühere Wähler-Milieus wie »Arbeiter« oder
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