Ilias
Achilleus,
Selbst nicht wird er dich töten und allen umher es verwehren.
Nicht ja vernunftlos ist er, noch unbedacht, noch ein Frevler;
Nein, voll Huld wird er schonen des hilfeflehenden Mannes.
Also sprach und entflog die windschnell eilende Iris.
Aber Priamos hieß die Söhn’ ihm den rollenden Wagen
Rüsten mit Mäulergespann und den Korb auf den Wagen ihm binden.
Selbst dann stieg er hinab in die lieblich duftende Kammer,
Hoch, mit Zedern getäfelt, die viel Kleinode verwahrte,
Rief dann Hekabe her, sein edeles Weib, und begann so:
Armes Weib, mir nahte von Zeus olympische Botschaft,
Daß ich löse den Sohn, zu den Schiffen der Danaer wandelnd,
Und mit gefälligen Gaben Achilleus’ Seele versöhne.
Aber sage mir nun, wie deucht dir solches im Herzen?
Denn mir selber entflammt ein gewaltiger Eifer die Seele,
Hinzugehn zu den Schiffen, ins weite Heer der Achaier.
Also der Greis; doch schluchzend erwiderte jenem die Gattin:
Wehe, wohin doch entfloh der Verstand dir, der so gepriesen
Ehmals war bei Menschen der Fremd und deines Gebietes?
Welch ein Mut, so allein zu der Danaer Schiffen zu wandeln,
Jenem Mann vor die Augen, der dir so viel und so tapfre
Söhn’ erschlug? Du trägst ja ein eisernes Herz in dem Busen!
Denn sobald er dich hält und dort erblickt mit den Augen,
Jener Mann, blutgierig und falsch, nie heget er Mitleid
Oder Erbarmen mit dir! Drum laß uns fern ihn beweinen
Sitzend in unserm Palast; so hat’s ihm das grause Verhängnis,
Als ich selbst ihn gebar, in den werdenden Faden gesponnen:
Einst schnellfüßige Hunde zu sättigen, fern von den Eltern,
Dort bei dem schrecklichen Mann, dem ich gern aus dem Busen die Leber
Roh verschläng, einbeißend! Das wär ihm gerechte Vergeltung
Meines Sohnes! Denn nicht der Verworfenen einen erschlug er,
Sondern für Trojas Männer und tiefgegürtete Weiber
Stand der Held, nicht achtend der Flucht noch des zagen Vermeidens!
Ihr antwortete Priamos drauf, der göttliche Herrscher:
Halte mich nicht, der zu gehen beschloß, noch werde du selber
Zum wehdrohenden Vogel im Hause mir; nimmer gehorch ich!
Hätt es ein anderer mir der Erdbewohner geboten,
Etwa ein Zeichendeuter, ein Opferprophet und ein Priester,
Lug wohl nennten wir solches und wendeten uns mit Verachtung.
Nun (denn ich hörte die Göttin ja selbst und schaut’ ihr ins Antlitz)
Geh ich, und nicht umsonst sei die Rede mir! Droht denn das Schicksal
Mir den Tod bei den Schiffen der erzumschirmten Achaier,
Wohl, er ermorde mich gleich, der Wüterich, halt ich nur meinen
Lieben Sohn in den Armen, das Herz mit Tränen gesättigt!
Sprach’s und öffnete schnell die zierlichen Deckel der Kisten.
Dorther wählt’ er sich zwölf der köstlichen Feiergewande,
Zwölf der Teppiche dann und einfache Hüllen des Schlafes,
Auch Leibröcke so viel und so viel der prächtigen Mäntel.
Hierauf wog er des Goldes und nahm zehn volle Talente,
Auch vier schimmernde Becken und zween dreifüßige Kessel;
Auch den köstlichen Becher, den thrakische Männer ihm schenkten,
Als er gesandt hinkam, ein Kleinod! Aber auch sein nicht
Schonete jetzt im Palaste der Greis; denn er wollte so herzlich
Lösen den trauten Sohn. Doch jetzt die sämtlichen Troer
Scheucht’ aus der Hall er hinweg, mit schmählichen Worten bedrohend:
Fort, ihr verruchtes Gezücht, Nichtswürdige! Habt ihr nicht selber
Trauer im Hause genug, daß ihr herkommt, mich zu bekümmern?
Achtet ihr’s klein, daß Zeus mir den Jammer beschied, zu verlieren
Meinen tapfersten Sohn? Wohlan, ihr erfahrt es schon selber!
Denn viel leichter hinfort wird’s wohl den Söhnen Achaias,
Euch, da jener geschieden, zu bändigen! Aber o möcht ich,
Eh ich die Trümmerhaufen der Stadt und die grause Verwüstung
Selbst mit den Augen geschaut, eingehn in Aides Wohnung !
Sprach’s, und hinaus mit dem Stabe zerscheucht’ er sie; und sie enteilten
Weg vor dem eifernden Greis. Dann rief er scheltend die Söhne
Helenos her und Paris und Agathon, göttlicher Bildung,
Pammon, Antiphonos auch und Deiphobos, auch den Polites,
Tapfer im Streit, Hippothoos auch und den mutigen Dios;
Diesen neun gebot mit scheltendem Rufe der Vater:
Eilt, untüchtige Söhn’, ihr Schändlichen, daß ihr zugleich doch
Alle für Hektor lägt bei den hurtigen Schiffen getötet!
Ich unglücklicher Mann! Die tapfersten Söhn’ erzeugt ich
Weit in Troja umher, und nun ist keiner mir übrig!
Mestor, den göttlichen Held, und Troilos, froh des
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