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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ihren mächtigen Götterhänden den goldenen Strang umklammern.
    »Zieht mich hinab«, befiehlt Zeus. »Zieht mich aus dem Himmel zur Erde, zum Hades und noch weiter hinab, in die stinkenden Tiefen des Tartaros. Zieht mich hinab, sage ich.«
    Kein einziger Gott bewegt einen gebräunten Muskel.
    » ZIEHT MICH HINAB, ICH BEFEHLE ES EUCH! « Zeus packt das goldene Seil und zieht daran. Die Sandalen der Götter rutschen und scharren quietschend über Marmor. Mehrere hundert hintereinander aufgereihte Götter und Göttinnen werden näher an die Grube herangeschleift, manche stolpern, andere fallen auf die Knie.
    » ZUR HÖLLE MIT EUCH – ZIEHT! «, brüllt Zeus. » ZIEHT, ODER IHR WERDET IN DEN STINKENDEN TARTAROS GESTÜRZT, BIS DIE ZEIT VON DEN KNOCHEN DES UNIVERSUMS FAULT! «
    Zeus zieht erneut, und zwanzig Meter goldenes Seil rollen sich hinter ihm auf. Die Polonaise-Schlange der Götter und Göttinnen, Chariten und Erinnyen, Nereiden, Nymphen und was nicht alles auf der anderen Seite – alle außer der purpurn gewandeten Nacht ziehen am Seil – rutscht quietschend näher an die Grube heran. Athene, die Erste am Seil, ist nur noch zehn Meter vom Rand entfernt, als sie schreit: »Zieht, ihr Götter! Zieht den alten Drecksack hinein!!«
    Ares, Apollo, Hermes, Poseidon und die anderen mächtigsten Götter legen sich voll ins Zeug. Sie hören auf zu rutschen. Das Seil strafft sich, franst aus und knirscht vor Spannung. Die Göttinnen schreien und ziehen alle zugleich, Hera – Zeus’ Gemahlin – zieht noch fester als die anderen. Das goldene Seil dehnt sich und ächzt.
    Zeus lacht. Er hält sie alle mit einer Hand am Seil in Schach. Jetzt packt er das Seil auch mit der anderen Hand und zieht erneut.
    Die Götter kreischen wie Kinder in der Achterbahn. Athene und ihre unmittelbaren Hinterleute am Seil schlittern über den Marmor, als wäre er Eis. Sie rutschen immer näher an die tosende Tartaros-Grube heran, während Dutzende geringerer Unsterblicher aufgeben und vom Seil wegspringen. Doch Athene lässt nicht los. Die grauäugige Göttin wird erbarmungslos zum Rand des dampfenden Höllentors gezogen. Es hat den Anschein, als würde die ganze Schlange der mit aller Kraft ziehenden, schwitzenden, fluchenden Unsterblichen hineinstürzen.
    Zeus lacht und lässt das Seil los. Die Götter und Göttinnen fliegen rückwärts und landen der Reihe nach unsanft auf ihren unsterblichen Hintern.
    »Ihr Götter und Göttinnen, Kinder, Brüder, Schwestern, Söhne, Töchter, Cousinen und Diener – ihr zöget mich nicht hinab«, sagt Zeus. Er kehrt zu seinem Thron zurück und setzt sich. »Auch wenn ihr euch die Arme aus den Gelenkpfannen risset und euch noch so sehr mühtet, könntet ihr mich nicht von der Stelle bewegen, wenn ich nicht freiwillig nachgäbe. Ich bin Zeus, der größte und mächtigste König von allen.«
    Er hebt einen riesigen Finger. »Aber … sobald es mir im Ernst gefiele zu ziehen, zöge ich euch vom Olymp, ließe euch im schwarzen Raum über dem Tartaros baumeln, bände die Erde und das Meer daran, schlänge das Ende des Seils sodann um das Horn dieses Berges namens Olymp und ließe euch dort in der Dunkelheit hängen, bis die Sonne erkaltet.«
    Hätte ich nicht gesehen, was ich gerade gesehen habe, würde ich glauben, der alte Bastard blufft. Jetzt weiß ich es besser.
    Athene, die höchstens einen Meter vom Rand der Tartaros-Grube entfernt am Boden liegt, steht auf und sagt: »O du Vater von uns, Kronide, der du bist im höchsten Thron des Himmels, sehr wohl kennen auch wir deine Stärke. Wer könnte gegen dich bestehen? Wir nicht …«
    Alle Unsterblichen scheinen den Atem anzuhalten. Athenes Temperament ist legendär, und es mangelt ihr häufig an diplomatischem Geschick – wenn sie jetzt das Falsche sagt …
    »Dennoch«, sagt Zeus’ grauäugige Tochter, »beklagen wir diese Sterblichen, meine todgeweihten Danaerkämpfer, die auf ihrer kleinen Bühne ihre kleinen Rollen spielen und ihre schrecklichen Tode sterben, die am Ende ihres kleinen Lebens in ihrem eigenen Blut ertrinken.«
    Sie tritt zwei Schritte vor, sodass die Spitzen ihrer Sandalen über den Rand der schwarzen Grube ragen. Irgendwo in der von Blitzen durchzuckten Finsternis des Tartaros, abertausend Meter unter ihr, brüllt etwas Großes voller Schmerz und Angst. »Freilich, Zeus«, fährt Athene fort, »enthalten wir uns des Kampfes, wie du gebietest. Doch erlaube uns wenigstens, unseren sterblichen Lieblingen Rat zu geben, der ihnen

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