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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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freiwillig bereit erklärt hatte, mit der alten Frau und Harman auf ihre groteske Expedition zu gehen, aber niemand hatte den wahren Grund für seine Entscheidung erraten. Erstens fürchtete er sich vor den Dinosauriern in der Umgebung von Ardis Hall. Dorthin wollte er nicht zurück. Zweitens hatte ihn das ganze Gerede darüber, dass Faxen eine Art Vernichtung und Wiedererschaffung von Menschen sei, außerordentlich nervös gemacht. Wem wäre es wohl anders gegangen, wenn er so kurz nach dem Erwachen in der Klinik erfahren hätte, dass sein echter Körper vernichtet worden war? Daeman war fast an jedem Tag seines Lebens gefaxt, aber der Gedanke, jetzt ein Faxportal zu betreten – in dem Wissen, dass es seine Muskeln und Knochen, sein Gehirn und sein Gedächtnis auflösen und dann einfach woanders eine Kopie erschaffen würde, falls die alte Frau die Wahrheit sagte –, nun, diese Vorstellung machte ihm höllisch zu schaffen.
    Deshalb hatte er beschlossen, noch ein paar Tage mit dem Sonie zu reisen. So würden ihm sowohl die Dinosaurier von Ardis als auch die Fax-Zerstörung seiner Atome, Moleküle oder was auch immer erspart bleiben.
    Momentan wünschte er sich nur eine Toilette und dass ihm ein Servitor oder seine Mutter Abendessen machte. Vielleicht würde er sich von der alten Frau nach Ardis in Paris-Krater absetzen lassen. Das war doch nicht so weit entfernt, oder? Obwohl Daeman einen flüchtigen Blick auf Harmans Gekritzel – seine »Karte« – erhascht hatte, machte er sich keinen Begriff von der Geografie der Welt. Alles war gleich weit entfernt – einen Faxportal-Schritt.
    Die alte Frau kam aus dem Wald, sah Daeman, der allein an dem schwebenden Sonie lehnte, und fragte: »Wo sind die anderen?«
    »Das wüsste ich auch gern. Zuerst ist der Barbar verschwunden. Dann ist Hannah hinter ihm hergelaufen. Danach sind Ada und Harman in diese Richtung gegangen …« Er zeigte zu den hohen Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung.
    »Weshalb benutzt du nicht deine Handfläche?«, fragte Savi und lächelte, als hätte sie etwas Amüsantes gesagt.
    »Habe ich schon versucht. Auf deinem Eis-Ding. Und bei der Brücke. Hier. Es funktioniert nicht.« Er hob die linke Hand, dachte an die Suchfunktion und zeigte ihr das leere weiße Rechteck, das dort schwebte.
    »Das ist bloß die direkte Ortungsfunktion«, sagte Savi. »Nur ein Pfeilzeichen als Richtungsweiser, wenn man in der Nähe von etwas ist, zum Beispiel in einer Bücherei auf der Suche nach einem Buch im falschen Gang. Benutze Farnet oder Proxnet.«
    Daeman starrte sie an. Er hatte vom ersten Moment an am Verstand der alten Frau gezweifelt.
    »Ach, ist schon gut.« Auf Savis Gesicht lag immer noch dieses humorlose Lächeln. »Ihr habt die Funktionen alle vergessen. Eine Generation nach der anderen.«
    »Wovon redest du?«, fragte Daeman. »Die alten Funktionen wie Lesen gibt es nicht mehr. Sie sind mit den Nachmenschen verschwunden.« Er zeigte zu den Ringen, die den kleinen blauen Himmelsfleck über ihnen durchquerten.
    »Unsinn.« Savi kam zu ihm, lehnte sich neben ihn an das Sonie, packte seinen linken Arm und drehte die Handfläche zu sich. »Stell dir drei rote Kreise vor, jeweils mit einem blauen Quadrat in der Mitte.«
    »Was?«
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe.« Sie hielt sein Handgelenk weiterhin fest.
    So ein Blödsinn, dachte Daeman, aber er stellte sich drei rote Kreise vor, in deren Zentrum blaue Quadrate schwebten.
    Statt des kleinen Rechtecks aus weißgelbem Licht, das von der Suchfunktion erzeugt wurde, schwebte nun ein großes blaues Lichtoval fünfzehn Zentimeter über seiner Handfläche.
    »Herrje!«, rief Daeman, entzog ihr die Hand und schüttelte sie wie wild, als wäre gerade ein riesiges Insekt darauf gelandet. Das blaue Oval machte die Bewegungen mit.
    »Immer mit der Ruhe«, sagte Savi. »Es ist leer. Stell dir irgendjemanden vor.«
    »Wen denn?« Daeman fand es ausgesprochen unangenehm, dass sein Körper zu etwas fähig war, wovon er nichts wusste.
    »Irgendwen. Jemanden aus deinem näheren Bekanntenkreis.«
    Daeman schloss die Augen und stellte sich das Gesicht seiner Mutter vor. Als er die Augen wieder aufschlug, war das blaue Oval voller grafischer Darstellungen. Straßennetze, ein Fluss, Worte, die er nicht lesen konnte – das Luftbild eines schwarzen Kreises, zweifellos der Krater im Herzen von Paris-Krater. Das Bild zoomte heran, und auf einmal befand er sich im vierten Stock eines stilisierten Bauwerks in der Nähe

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