Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons

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Sie wird gerade in unserer Genesungshalle geheilt, und obwohl sie am Leben bleiben wird, war es knapp; es wird noch viele Tage dauern, bis sie wieder gesund ist. Heute hat ein Gott oder eine Göttin versucht, eine Unsterbliche zu töten – eine von uns, welcher der Tod nicht bestimmt ist.«
    Das Gemurmel und die schockierte Unterhaltung sind zunächst ein Summen, steigern sich dann jedoch in dem riesigen Raum zu einem Brausen.
    » RUHE!! «, brüllt Zeus, und diesmal ist seine Stimme so laut, dass sie mich niederwirft und wie eine Steppenhexe in einem Tornado über den Marmorboden schlittern lässt. Glücklicherweise treffe ich unterwegs keinen der Götter oder Göttinnen, und das Geräusch, das ich erzeuge, geht in den Echos von Zeus’ Ruf unter.
    »Hört mich an, ihr Götter und Göttinnen«, fährt er fort, die Stimme wie von einem ultimativen 16-Kanal-Dolby-Sound verstärkt. »Keine der weiblichen Götter und keiner der männlichen trachte, meinem Wort zu trotzen. Ihr werdet euch meinem Willen beugen – und zwar AUF DER STELLE! «
    Diesmal bin ich auf die Hurrikanstärke seiner Stimme vorbereitet und halte mich an einer Säule fest, bis ihre Energie verflogen ist.
    »Hört mir zu.« Zeus flüstert jetzt beinahe, und sein sanfter Ton lässt seine Macht noch schrecklicher erscheinen. »Wer es wagt, meinem Wort zuwider zu handeln, indem er den Danaern oder den Trojanern hilft, so wie ich es diesen Monat erlebt habe, der kehrt ungebührlich geschlagen heim und wird fortan vom Olymp verbannt. Trotzt mir, und ihr werdet merken, wie es ist, in des Tartaros Düster hinabgeworfen zu werden, ein halbes Universum weit hinweg in Raum und Zeit, in den tiefsten Abgrund unter unseren Quanten-Ichs.«
    Während er spricht, beginnt es in der langen Hologramm-Grube zu brodeln und zu sprudeln. Sie färbt sich pechschwarz und wird dann etwas anderes als ein Hologramm; aus der rechteckigen Vertiefung – sie sieht aus wie ein Dutzend aneinander gereihter, olympiatauglicher Schwimmbecken, die nun mit kochendem, brodelndem schwarzem Öl gefüllt sind – steigt plötzlich ein brüllendes Fauchen empor, und sie verwandelt sich in ein Loch, das zu einem dunklen, glutroten Ort in einer schrecklichen Tiefe führt. Schwefelgestank wallt herauf, und die Götter und Göttinnen am Rand weichen zurück.
    »Sehet den Tartaros!«, ruft Zeus, »So weit unter dem Hades wie dieser unter der Erde. Wisst ihr noch – ihr älteren Götter und Göttinnen unter uns –, wie ihr mir in den zehnjährigen Krieg mit den Titanen gefolgt seid, die vor uns geherrscht haben? Wisst ihr noch, dass ich Kronos und Rhea – meine eigenen Eltern – durch diese eisernen Pforten und über diese ehernen Schwellen geschleudert habe – ja, und auch den Iapetus, trotz all seiner göttlichen Macht?«
    In der Halle ist es still, bis auf das gedämpfte Brüllen, Fauchen und Schreien, das aus der offenen Tartaros-Grube heraufdringt. Sie klafft keine zehn Meter von dort, wo ich kauere, und ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass dies kein Hologramm ist, sondern ein Höllenschlund.
    » ICH HABE MEINE EIGENEN ELTERN FÜR ALLE EWIGKEIT IN DIESE GRUBE ALLER GRUBEN GESCHLEUDERT «, brüllt Zeus. » BEZWEIFELT IHR ETWA, DASS ICH MIT EUREN KREISCHENDEN SEELEN IN EINER SEKUNDE DASSELBE TUN WERDE? «
    Die Götter und Göttinnen antworten nicht. Sie weichen nur einige weitere Schritte von dieser stinkenden Leere zurück.
    Zeus’ Lächeln ist schrecklich. »Wohlan, versucht es, ihr Götter, dann seht ihr es alle.«
    Ein langes, dickes, goldenes Seil fällt vom Dach der Halle herab. Götter und Göttinnen springen hastig beiseite. Es schlägt mit einem hallenden Krachen auf Marmor und bleibt quer über dem Höllenschlund liegen. Das Seil ist dicker als ein Schiffstau und scheint aus abertausend zolldicken Strängen aus echtem Gold gewoben zu sein. Es muss viele Tonnen wiegen.
    Zeus schreitet die goldenen Stufen herab, hebt sein Ende des Seils auf und hält es locker in den gewaltigen Händen. »Ergreift euer Ende des Seils«, sagt er beinahe fröhlich.
    Die Götter und Göttinnen sehen einander an und rühren sich nicht.
    » ERGREIFT EUER ENDE! «
    Hunderte von Unsterblichen und ihren unsterblichen Dienern gehorchen schleunigst; wie Kinder beim Tauziehen balgen sie sich um einen Platz an dem langen Seil. Binnen einer Minute steht Zeus allein auf seiner Seite der Tartaros-Grube, das Seil lässig in der Hand, während die zahllosen Götter und Göttinnen auf der anderen Seite mit