Illuminati
berühmten Piazza Navona lag. Langdon wusste, dass auf der Piazza eine größere Kirche stand, doch soweit ihm bekannt war, gab es in dieser Kirche keine Skulptur von Bernini. Die Kirche hieß Sant’ Agnese in Agone, benannt nach der heiligen Agnes, einer hinreißenden Schönheit und Jungfrau, die zu einem Leben in sexueller Sklaverei verurteilt worden war, weil sie sich geweigert hatte, ihren Glauben zu verraten.
Irgendetwas muss es in dieser Kirche geben! Langdon zermarterte sich das Gehirn in dem Versuch, sich den Innenraum der Kirche vorzustellen, doch er erinnerte sich beim besten Willen nicht an ein Werk Berninis, geschweige denn an eines, das mit Wasser zu tun hätte. Die Anordnung auf der Karte störte ihn ebenfalls. Ein Diamant. Sie war viel zu regelmäßig, um Zufall zu sein, und doch ergab sie keinen Sinn. Ein Drachen? Langdon fragte sich, ob er vielleicht den falschen Punkt ausgewählt hatte. Irgendetwas übersehe ich, aber was?
Es dauerte weitere dreißig Sekunden, bis es ihm wie Schuppen von den Augen fiel, und schlagartig verspürte er ein Hochgefühl wie noch nie zuvor während seiner akademischen Laufbahn.
Der Genius der Illuminati, schien es, hatte keine Grenzen. Der Umriss, auf den Langdon blickte, stellte keinen Diamanten dar.
Die vier Punkte bildeten lediglich deshalb einen Diamanten, weil Langdon benachbarte Punkte miteinander verbunden hatte. Die Illuminati hielten es mit den Gegensätzen! Mit bebenden Fingern verband er die gegenüberliegenden Punkte auf der Karte. Die resultierenden Linien bildeten ein gigantisches Kreuz! Ein Kreuz! Die vier Elemente der Wissenschaft entfalteten sich vor seinen Augen… in einem gewaltigen, stadtgroßen Kreuz über Rom.
Als er voller Staunen auf die Karte starrte, fiel ihm eine Zeile aus Miltons Gedicht ein… und plötzlich sah er sie in einem ganz anderen Licht.
‘Cross Rome the mystic elements unfold…
Cross bedeutete Kreuz! Kreuz und quer.
Der Nebel begann sich zu lichten. Langdon sah, dass die Antwort ihm die ganze Zeit über ins Gesicht gelacht hatte. Das Illuminati-Poem hatte ihm von Anfang an gesagt, wie die Altäre ausgelegt waren. In einem Kreuz!
‘Cross Rome the mystic elements unfold.
Es war ein wagemutiges Wortspiel. Langdon hatte das Wort »cross« die ganze Zeit über als Abkürzung für »across« interpretiert, für »quer«, und angenommen, dass es ein dichterisches Zugeständnis war, um den Reim zu erhalten. Doch wie viel mehr verbarg sich dahinter! Ein weiterer versteckter Hinweis.
Das Kreuz auf der Karte stellte die ultimative Dualität dar, erkannte Langdon. Ein religiöses Symbol, gebildet von den Elementen der Wissenschaft. Galileos Weg der Erleuchtung war ein Tribut an die Wissenschaften und an Gott zugleich!
Das Puzzle fügte sich zusammen.
Piazza Navona.
Mitten auf der Piazza, direkt vor der Kirche Santa Agnes in Agone, hatte Bernini eines seiner berühmtesten Werke errichtet. Ein MUSS für jeden Rom-Besucher.
Die Fontana dei Fiumi – der Vier-Ströme-Brunnen! Ein lupenreiner Tribut an das Wasser. Berninis Vier-Ströme-Brunnen galt den vier größten Flüssen der damals bekannten Welt – dem Nil, dem Ganges, der Donau und dem Rio de la Plata.
Wasser, dachte Langdon. Der letzte Wegweiser. Alles passte perfekt.
Und mehr noch, quasi das Sahnehäubchen auf dem Kuchen, war die Pyramide hoch oben auf dem Obelisken, der das Zentrum von Berninis Brunnen bildete.
Langdon rannte zum Leichnam Olivettis auf der anderen Seite der Kirche. Die Feuerwehrleute blieben verwirrt zurück.
Zweiundzwanzig Uhr einunddreißig, noch reichlich Zeit. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass Langdon das Gefühl hatte, seinem Gegenspieler voraus zu sein.
Er kniete neben Olivetti nieder, vor fremden Blicken geschützt hinter den Kirchenbänken, und nahm die Halbautomatik und das Walkie-Talkie des Kommandanten an sich. Er würde die Schweizergarde um Hilfe bitten, doch die Kirche war nicht der richtige Ort dazu. Der letzte Altar der Wissenschaft musste fürs Erste geheim bleiben. Medien und eine Feuerwehr, die mit plärrenden Martinshörnern zur Piazza Navona raste, waren alles andere als hilfreich.
Ohne ein weiteres Wort verließ Langdon die Kirche und wich den Medienleuten aus, die nun wie Heuschrecken in das Gebäude einfielen. Er überquerte die Piazza Barberini. Als er im Schatten einer Seitengasse angekommen war, schaltete er Olivettis Walkie-Talkie ein. Er versuchte den Vatikan zu erreichen, doch aus dem Gerät drang nichts
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