Illuminati
Vittoria hatte sich am längsten gesträubt, und Langdon hatte in ihren Augen ein Misstrauen erkannt, das auf sehr beunruhigende Art nach weiblicher Intuition aussah.
Jetzt ist es zu spät, dachte er, während er zusammen mit Vittoria hinter den anderen herlief. Wir haben unsere
Entscheidung getroffen.
Vittoria war schweigsam, doch Langdon wusste, dass sie das Gleiche dachte wie er. Neun Minuten reichen im Leben nicht, um aus der Vatikanstadt zu fliehen, falls sich der Camerlengo geirrt hat.
Sie rannten zwischen Mausoleen hindurch, und Langdon spürte, wie seine Beine allmählich müde wurden. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sie eine Steigung hinaufliefen. Als ihm schließlich die Erklärung dämmerte, liefen ihm weitere Schauer über den Rücken. Unter seinen Füßen war der gleiche Boden wie zu Zeiten Jesu Christi. Er rannte über den ursprünglichen vatikanischen Hügel! Langdon kannte die Behauptung zahlreicher Gelehrter, dass sich das Grab des heiligen Petrus weit oben auf dem Hügel befunden hätte, und er hatte sich stets gefragt, woher sie das wissen konnten. Jetzt begriff er.
Der Hügel ist immer noch da!
Langdon fühlte sich, als liefe er durch die Geschichte.
Irgendwo weiter oben war das Grab des Petrus – die heiligste Reliquie der Christenheit. Schwer vorstellbar, dass das ursprüngliche Grab nur ein bescheidener Schrein gewesen sein sollte. Doch das hatte sich geändert. Mit dem wachsenden Einfluss des Christentums waren neue, größere Schreine über dem alten errichtet worden, und heute ragte die Hommage einhundertdreißig Meter hoch in den Himmel, bis zur Kuppel Michelangelos, deren Zentrum sich bis auf wenige Zentimeter genau über dem einstigen Grab befand.
Sie rannten weiter über die gewundenen Pfade. Es ging unablässig bergauf. Langdon warf einen Blick auf die Uhr. Noch acht Minuten. Allmählich fragte er sich ernsthaft, ob er, Vittoria und die anderen für alle Zeiten hier unten bei den Verstorbenen bleiben würden.
»Passen Sie auf!«, rief Günther Glick aufgeschreckt hinter ihnen. »Schlangenlöcher!«
Langdon hatte sie rechtzeitig bemerkt. Der Weg vor ihnen war von einer Reihe kleiner Löcher übersät. Er sprang mit einem Satz darüber hinweg.
Vittoria folgte ihm und wäre fast zu kurz gesprungen. Sie blickte Langdon beunruhigt an, während sie weiterrannten. » Schlangenlöcher?«
»Glauben Sie mir«, entgegnete Langdon, »das wollen Sie nicht wissen…« Es waren Libationslöcher, erkannte er. Die frühen Christen hatten an die Wiederauferstehung des Fleisches geglaubt und hatten die Löcher benutzt, um die Toten buchstäblich zu füttern, indem sie Milch und Honig durch die Löcher in die Krypten unter der Erde gegossen hatten.
Der Camerlengo fühlte sich schwach.
Er rannte weiter, und seine Beine fanden Kraft im Glauben an Gott und seiner Pflicht gegenüber den Menschen. Ich bin fast da. Er litt unter unsäglichen Schmerzen. Der Verstand kann viel mehr Schmerz verursachen als der Leib. Er war müde. Und er wusste, dass ihm nur noch sehr wenig Zeit blieb.
»Ich werde deine Kirche retten, Vater. Ich schwöre es!«
Trotz der Scheinwerferlichter hinter sich – für die er dankbar war – trug der Camerlengo seine Öllampe hoch erhoben. Ich bin das Licht in der Dunkelheit. Ich bin das Licht. Das Öl in der Lampe schwappte beim Laufen, und für einen Augenblick fürchtete er, die Flüssigkeit könnte überlaufen und ihn verbrennen. Er hatte genügend verbranntes Fleisch für eine Nacht ertragen.
Als er sich dem höchsten Punkt des Hügels näherte, war er schweißgebadet und völlig außer Atem. Doch als er den Kamm erreicht hatte, fühlte er sich wie neugeboren. Er stolperte zu dem flachen Stück Erde, wo er schon so viele Male gestanden hatte. Hier endete der Weg. Die Nekropole endete ebenfalls vor einer steilen Wand. Ein winziges Schild verkündete: Mausoleum S.
La tomba di San Pietro.
Vor ihm, auf Leibeshöhe, befand sich eine schmucklose Öffnung in der Wand. Keine vergoldete Plakette. Keine Ornamente. Nur ein einfaches Loch in der Wand, hinter dem eine kleine Höhle lag und ein schlichter, verfallender Sarkophag. Der Camerlengo starrte in das Loch und lächelte erschöpft. Er konnte die anderen hören, die hinter ihm den Hügel hinaufhetzten. Er stellte seine Öllampe ab und kniete nieder zum Gebet.
Ich danke dir, Gott. Es ist fast vorbei.
Draußen auf dem Platz, umgeben von sprachlosen Kardinalen, starrte Kardinal Mortati hinauf auf die große
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