Illuminati
Interface braucht Wochen. Fluxfilter, Servospulen, Gleichrichter, alles genauestens kalibriert auf die spezifische Energie ihrer Position.«
Langdon runzelte die Stirn. Er hatte begriffen. Eine Antimateriefalle war nichts, das irgendjemand einfach mitnehmen und woanders in eine Steckdose stecken konnte. Wenn der Behälter aus CERN gestohlen worden war, dann befand er sich auf einem vierundzwanzig Stunden währenden Trip ins Nichts.
Was nur eine einzige, äußerst beunruhigende Schlussfolgerung übrig ließ.
»Wir müssen Interpol informieren!«, sagte Vittoria. Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren fremd. »Wir müssen die Behörden benachrichtigen! Auf der Stelle.«
Kohler schüttelte den Kopf. »Nein, auf keinen Fall.«
Die Worte verblüfften sie. »Nein? Was wollen Sie damit sagen?«
»Sie und Ihr Vater haben mich in eine sehr schwierige Lage gebracht.«
»Herr Direktor, wir brauchen Hilfe! Wir müssen den Behälter finden und hierher zurückschaffen, bevor irgendjemand zu Schaden kommt! Wir haben eine Verpflichtung!«
»Wir haben die Verpflichtung zu denken!«, entgegnete Kohler hart. »Diese Situation könnte sehr, sehr ernste Folgen für CERN haben.«
»Sie machen sich Sorgen wegen CERNs Ruf? Wissen Sie eigentlich, was geschieht, wenn die Batterie in einem Wohngebiet leer wird? Die Antimaterie hat einen Explosionsradius von fast einem Kilometer! Neun dicht bewohnte Blocks!«
»Darüber hätten Sie und Ihr Vater nachdenken sollen, bevor Sie eine so große Probe erschaffen haben.«
Vittoria fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Dolch in den Rücken gerammt. »Aber… wir haben jede nur denkbare Vorsichtsmaßnahme ergriffen!«
»Offensichtlich nicht.«
»Niemand wusste von der Antimaterie! Niemand!« Dann erkannte sie, wie absurd ihre Behauptung war. Selbstverständlich hatte jemand davon gewusst. Irgendjemand hatte es herausgefunden.
Vittoria hatte mit niemandem gesprochen. Damit blieben nur zwei Erklärungen. Entweder, ihr Vater hatte jemanden ins Vertrauen gezogen, ohne es ihr zu sagen – was keinen Sinn ergab, weil es ihr Vater gewesen war, der darauf bestanden hatte, dass es unter allen Umständen ihrer beider Geheimnis bleiben müsse. Oder sie oder ihr Vater waren überwacht worden. Das Mobiltelefon vielleicht? Sie hatten ein paar Mal telefoniert, während Vittoria zu Feldversuchen unterwegs gewesen war. Hatten sie zu viel gesagt? Möglich war es. Außerdem hatten sie Kontakt per E-Mail gehabt. Doch auch dort waren sie diskret gewesen – oder nicht? Das Sicherheitssystem von CERN? Hatte man sie überwacht, ohne dass sie es gewusst hatten? Vittoria wusste, dass nichts von alledem jetzt noch eine Rolle spielte. Was geschehen war, war geschehen. Mein Vater ist tot.
Der Gedanke riss sie aus ihrer Lethargie. Sie zerrte das Mobiltelefon aus der Hosentasche.
Kohlers Augen blitzten vor Zorn. »Wen… wen wollen Sie anrufen?«
»Die Vermittlung von CERN. Sie können uns direkt zu Interpol durchstellen.«
»Denken Sie nach!« Kohler hustete. »Sind Sie wirklich so naiv? Dieser Behälter kann inzwischen überall auf der Welt sein! Kein Nachrichtendienst der Erde könnte genügend Leute mobilisieren, um ihn rechtzeitig zu finden!«
»Also tun wir überhaupt nichts“?« Vittoria beschlichen Schuldgefühle, weil sie einen gesundheitlich derart beeinträchtigten Mann herausforderte, doch der Direktor hatte die Grenze so weit überschritten, dass sie ihn nicht mehr wiedererkannte.
»Wir werden tun, was klug ist«, sagte Kohler. »Wir werden nicht CERNs Ruf riskieren, indem wir Behörden einschalten, die uns sowieso nicht weiterhelfen können. Noch nicht. Nicht ohne nachzudenken.«
Vittoria wusste, dass Kohlers Argumente nicht einer gewissen Logik entbehrten, doch sie wusste auch, dass Logik – per Definition – frei war von jeglicher moralischen Verantwortung. Ihr Vater hatte für seine moralische Verantwortung gelebt vorsichtige Wissenschaft, Zuverlässigkeit, Vertrauen in das Gute im Menschen. Vittoria glaubte ebenfalls an diese Dinge, doch sie sah sie aus der Sicht des Karma. Sie wandte sich von Kohler ab und klappte ihr Handy auf.
»Das können Sie nicht«, sagte er.
»Versuchen Sie doch, mich daran zu hindern!«
Kohler rührte sich nicht.
Einen Augenblick später wusste sie, warum. So tief unter der Erde gab es keine Trägerfrequenz.
Wutschäumend machte sie kehrt und marschierte zum Aufzug.
26.
Der Hashishin stand am Ende des gemauerten Tunnels. Seine Fackel
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