Illusion der Weisheit
gebeten, es in Buchhandlungen oder Vereinen vorzustellen.
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass der Grund dafür die herausragende Qualität des Buches ist. Sie laden mich ein, weil ich Lektor in einem großen Verlag bin. Die Laienschriftsteller hören mir zu und kaufen mein Buch, weil sie mich kennenlernen, mir ein Manuskript zustecken und eine Abkürzung zum literarischen Ruhm nehmen wollen.
An jenem Abend in Bari war das übliche Publikum da.
Die bunte Mischung der Laienschriftsteller. Da sind die Normalen, die Depressiven, die Arglosen, die Überdrehten. Die Verrückten. Zu welcher Kategorie sie gehören, lässt sich spätestens anhand ihrer Kommentare und Fragen festmachen. Der Verrückte beispielsweise schickt erst einmal voraus, dass er bereits ein Dutzend Romane geschrieben hat, die nur deshalb nicht veröffentlicht wurden, weil die Struktur der Verlagswelt mafiös ist. Dann erklärt er einem, dass man selbst nur ein Rädchen in diesem Getriebe sei, und zum Schluss fordert er einen auf, ihm das Gegenteil zu beweisen und seinen Roman mit dem Titel, sagen wir mal, Der Liebhaber der Manguste zu veröffentlichen, den er einem bereits vor einem Jahr zugeschickt hat, ohne je eine Antwort bekommen zu haben.
Man lächelt höflich und ein wenig dämlich, versichert ihm, sich auf die Suche nach dem Manuskript von Der Liebhaber der Manguste zu machen und es umgehend einem Kollegen zum Lesen zu geben. Dann lässt man den Nächsten zu Wort kommen, hofft, dass es bald überstanden ist, und fragt sich, weshalb man sich das immer wieder antut.
An dem Abend waren keine Verrückten da, oder zumindest hatten sie beschlossen, nicht in Erscheinung zu treten. Es waren nur wenige Leute gekommen, viele Stühle waren leer, und keiner der Anwesenden fiel besonders auf, weder positiv noch negativ. Mit Ausnahme einer schönen, blonden jungen Frau, die allein in einer der hinteren Reihen saß.
Ich spulte das übliche Programm ab, das sich im Wesentlichen um zwei Fragen dreht: Ist es möglich, schreiben zu lehren (und folglich zu lernen)?, und: Wie schafft man es, verlegt zu werden?
Als ich mit meinem kleinen Vortrag durch war, folgten die Fragen. Auch die sind mehr oder weniger immer gleich: Wie viel beim Schreiben Kreativität und wie viel harte Arbeit ist; ob man über das schreiben soll, was man kennt, oder sich besser auf unbekanntes Terrain begibt; wie man glaubhafte Figuren erschafft; worin das Geheimnis funktionierender Dialoge liegt. Solche Dinge.
Als es vorbei war, rechnete ich damit, dass – wie fast immer – jemand zu mir käme, um sich ein wenig mit mir zu unterhalten und mir ein Manuskript aufzudrängen.
Doch an dem Abend kam niemand. Der Saal leerte sich rasch, und auch das blonde Mädchen war, ehe ich es mich versah, verschwunden.
Also plauderte ich noch zehn Minuten mit der Buchhändlerin, sagte, dass ich leider nicht zum Abendessen bleiben könne, weil ich meinen Flug kriegen müsse, und machte mich leicht verstört davon.
Als ich aus der Buchhandlung trat, dachte ich, dass es für eine Stadt wie Bari ganz schön kalt sei, doch wenigstens hatte es aufgehört zu regnen. Während ich diesen tiefschürfenden Gedanken nachhing, berührte mich jemand am Arm.
»Verzeihung, dürfte ich kurz mit Ihnen reden?«
Das Mädchen aus der letzten Reihe.
»Bitte, ich bin ganz Ohr.«
»Bestimmt haben Sie das, was ich jetzt sage, schon tausendmal gehört. Und bestimmt wissen Sie bereits, was jetzt kommt. Wenn ich Sie belästige, gehe ich sofort.« Sie sagte es in einem Atemzug, als hätte sie es auswendig gelernt und fürchtete, unterbrochen zu werden.
»Also bitte, Sie belästigen mich keineswegs! Ich höre.«
Der eilfertige Nachdruck, mit dem ich geantwortet hatte, ärgerte mich: So reagierte ich immer, wenn ich einer schönen Frau gegenüberstand. Das Mädchen atmete tief durch, als hätte es die größte Hürde hinter sich.
»Danke, wirklich sehr freundlich. Natürlich habe ich ein Manuskript dabei, das werden Sie sich schon gedacht haben.«
»Es ist kalt hier draußen. Was halten Sie davon, wenn wir uns irgendwo reinsetzen, einen Tee trinken und uns in Ruhe unterhalten?«
»Oh, das würde ich sehr gern, aber ich hab’s eilig. Ich bin schon spät dran.«
Ich kam mir blöd vor, als hätte ich etwas leicht Anzügliches, Plumpes getan und den schäbigen Versuch unternommen, die Situation auszunutzen. Ich wurde rot und war lächerlich erleichtert, als sie unbeirrt hastig weiterredete.
»Es ist der erste Teil meines
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