Illusionen
einer gewaltigen Symphonie: tausendstimmige Chöre, lateinische Worte, Violinen, Kesselpauken und Trompetenstöße, um Glas zum Zerspringen zu bringen.
Der Erdboden bebte, die Fleet schaukelte auf ihrem Fahrwerk, und ich selber schoß unter ihrem Tragflügel hervor wie eine elektrisierte Katze mit zu Ausrufungszeichen gesträubtem Fell. Der ganze Himmel brannte im kalten Feuer des beginnenden Sonnenaufgangs, die Wolken ein einziges wildes Meer glühender Farben: Aber das alles verschwamm in dem explodierenden Crescendo der Töne.
»Aufhören! Aufhören! Musik abschalten, abschalten!«
Shimoda brüllte derart laut und wütend, daß ich ihn über dem Lärm vernahm. Und die Musik hörte tatsächlich sofort auf, während das Echo in der Ferne verklang, ferner und immer ferner. Dann war es nur noch ein sanftes, getragenes Kirchenlied... lind wie eine Brise... wie Beethoven in einem Traum.
Aber er blieb unbeeindruckt. »Hör mal, ich habe S chluss damit gesagt!«
Die Musik verstummte.
»Wuuf!« sagte er.
Ich sah ihn nur an.
»Alles zu seiner Zeit und wo's am Platze ist, stimmt's?« fuhr er fort.
»Nun ja, Zeit und Ort. . .«
»Ein wenig Sphärenmusik lasse ich mir gefallen, gewiß, aber sie muß lautlos und nur in deinem Kopf ertönen, vielleicht bei besonderen Anlässen, aber frühmorgens und in dieser Lautstärke? Was machst du nur?«
»Was ich mache? Don, ich habe tief und fest geschlafen... Was heißt das, was ich mache?«
Er schüttelte nur den Kopf, hob resigniert die Schultern, schnaufte und ging zurück zu seinem Schlafsack unter dem Tragflügel.
Der Leitfaden lag aufgeschlagen und mit dem Rücken nach oben im Gras. Ich drehte ihn behutsam um und las:
Führe deine Unzulänglichkeiten ins Feld,
und ehe du dich 's versiehst, verbleiben sie dir.
Es gab vieles, was ich noch über die Erlöser zu lernen hatte.
8 . Kapitel
Wir hatten in Hammond im Bundesstaat Wisconsin gearbeitet und ein paar Montagsfluggäste geflogen. Danach gingen wir in die Stadt, um zu essen. Nun befanden wir uns auf dem Heimweg.
»Don, ich gebe dir recht, das Leben kann interessant oder fade oder was auch immer sein: Es kommt ganz darauf an, was wir daraus machen. Aber selbst in meinen besten Tagen bin ich niemals imstande gewesen zu erkennen, weshalb wir überhaupt auf der Welt sind. Bitte erzähle mir etwas darüber.« Wir kamen gerade an einem Haushaltswarengeschäft vorbei (geschlossen) und dann an einem Lichtspieltheater (geöffnet): Zwei Banditen: Butch Cassidy und Sundance Kid. Anstatt zu antworten, blieb er stehen und ging dann die paar Schritte auf dem Bürgersteig zurück.
»Du hast doch Geld bei dir, nicht wahr?«
»Reichlich. Was ist denn los?«
»Ins Kino gehen«, sagte er. »Bezahlst du?«
»Ich will nicht recht, Don. Geh du rein. Ich möchte zurück zu den Maschinen, ich will sie nicht gern allzu lange unbeobachtet lassen.«
Was war nur plötzlich an einem Film so sehenswert?
»Den Maschinen tut niemand etwas. Sehen wir uns den Film an, ja?«
»Aber das Programm hat doch schon angefangen.«
»Dann kommen wir eben zu spät.«
Er kaufte bereits seine Karte. Ich folgte ihm ins Dunkel. Wir setzten uns in eine der hinteren Reihen. Außer uns waren vielleicht noch fünfzig Zuschauer im Saal.
Ich hatte bald vergessen, warum wir hereingekommen waren, und ließ mich von der Handlung des Films, den ich schon immer für einen klassischen Western gehalten hatte, mitreißen. Ich kannte ihn, ich hatte ihn schon zweimal gesehen. Die Zeit im Kino wand und drehte sich wie eine Spirale und dehnte sich aus, wie immer bei einem guten Film, und eine Weile konzentrierte ich mich auf die technischen Aspekte... wie der Regisseur jede Szene konzipiert und aufgebaut hatte, wie sie sich in die folgende fügte, weshalb man diesen Auftritt vorgezogen hatte und so weiter. Ich wollte den Film aus dieser Sicht beurteilen, aber die Handlung fesselte mich, und ich vergaß es.
Gegen Schluß, wo Butch und Sundance von der gesamten bolivianischen Armee umstellt sind, berührte Shimoda meine Schulter. Ich lehnte mich zu ihm hinüber, ließ aber den Blick nicht von der Leinwand und wünschte, er hätte mit dem, was er sagen wollte, bis zum Schluß gewartet.
»Richard?«
»Hm?«
»Weshalb bist du hier?«
»Weil es ein guter Film ist, Don. Schschsch.« Butch und Sundance, blutüberströmt, unterhielten sich gerade darüber, warum sie nach Australien gehen sollten.
»Weshalb ist er gut?« fragte er.
»Weil er mir Spaß
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