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Illusionen

Illusionen

Titel: Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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nicht für Witze oder Spiele, es sei denn, sie sind selber sehr fortgeschritten. Und gerade diese Sorte weiß, daß sie ihr eigener Messias ist. Die Antworten werden dir gegeben, also sprich sie aus. Versuch es auf die >Gebe-auf<-Tour nur ein einziges Mal, und du wirst erleben, wie schnell der Pöbel einen Mann auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann.«
    Stolz richtete ich mich auf. »Suchender, du kommst zu mir und willst eine Antwort haben, und wahrlich, ich sage dir: Die Goldene Regel funktioniert nicht. Wie wäre es, wenn du einem Masochisten begegnetest, der mit den Leuten das machte, was er von ihnen für sich erhoffte? Oder einem, der den Krokodilgott verehrt, der um die Gnade fleht, lebendig zu den Krokodilen geworfen zu werden? Selbst der gute Samariter, der mit dem Ganzen angefangen hat..., was hat ihm den Gedanken eingegeben, daß der Mann, der da am Wegrand zusammengebrochen war, Öl auf seine Wunden gegossen haben wollte? Was, wenn der Mann die ruhigen Augenblicke nur dazu benutzt hätte, um sich geistig zu sammeln, um dann der Herausforderung zu begegnen?« Ich fand, ich klang sehr überzeugend. »Selbst wenn die Regel abgeändert würde in Sei zu anderen, wie sie wollen, daß man zu ihnen sein soll, wüßten wir nicht, wie irgend jemandem außer uns selbst getan werden soll. Was die Regel bedeutet, und wie wir sie ehrlich anwenden, ist: Sei zu anderen, wie du selbst fühlst, daß du zu ihnen sein möchtest. Begegne einem Masochisten mit dieser Regel, und du brauchst ihn nicht mehr mit der Peitsche zu bearbeiten, nur weil er sich das von dir wünscht. Noch bist du verpflichtet, den Tiergottanbeter den Krokodilen zum Fraß hinzuwerfen.« Ich blickte ihn an. »Zu viele Worte?« »Wie immer. Richard, du wirst neunzig Prozent deiner Zuhörerschaft einbüßen, wenn du nicht lernst, dich kurz zu fassen!«
    »Und was wäre verkehrt, wenn ich neunzig Prozent meiner Zuhörerschaft einbüßte?« entgegnete ich wütend. »Was wäre schon, wenn ich alle meine Zuhörer verlöre? Ich weiß, was ich weiß, ich sage, was ich sage! Und wenn das falsch ist, dann tut es mir leid. Ein Rundflug kostet drei Dollar, in bar!«
    »Weißt du was?« Shimoda bürstete sich die Grashalme von seinen Jeans.
    »Was?« sagte ich verstimmt.
    »Du hast soeben bestanden. Wie fühlt man sich als Meister?« »Verdammt frustriert.«
    Er sah mich mit einem verschwindend kleinen Lächeln an. »Daran wirst du dich gewöhnen müssen«, sagte er.
     
    Hier ist ein Test, um herauszufinden,
    ob deine Mission auf Erden schon beendet ist:
    Solange du noch lebendig bist,
    ist sie es nicht.
     
     

 
16. Kapitel
     
    Haushaltswaren- und Eisenhandlungen sind immer langgestreckte Orte mit Regalen, die ins Unendliche führen.
    In Hayward im Eisenwarenladen hatte ich wieder einmal ganz hinten im düsteren Licht nach Dreiachtelzollmuttern und Schrauben und Federringen für die Schwanzkufe der Fleet gesucht. Shimoda sah sich, während ich alles durchwühlte, geduldig um, denn natürlich brauchte er niemals irgend etwas aus einem Eisenwarengeschäft. Die ganze Wirtschaft eines Landes würde zusammenbrechen, gäbe es nur Leute wie ihn, die sich, was immer sie gerade brauchten, aus Verkörperungen und Luft fabrizierten und die Dinge ohne Ersatzteile oder Arbeitsaufwand reparierten.
    Schließlich hatte ich das halbe Dutzend Schrauben gefunden und ging damit zur Theke, wo der Ladeninhaber leise Musik spielen ließ: Greensleeves, eine Melodie, die ich schon als Kind geliebt hatte. Diesmal drang sie auf einer Laute gespielt und über ein verstecktes Verstärkersystem an mein Ohr..., das für einen Ort von vierhundert Seelen recht eigenartig war.
    Es erwies sich, daß es für Hayward allerdings merkwürdig war, denn dort gab es gar kein Lautsprechersystem. Der Eigentümer saß zurückgelehnt auf seinem hölzernen Schemel hinter dem Ladentisch und hörte zu, wie der Messias die Melodie auf einer billigen, sechssaitigen Gitarre spielte, die er vom Regal heruntergenommen hatte. Es klang herrlich. Ich stellte mich still dazu, bezahlte meine dreiundsiebzig Cent und ließ mich wieder von den Tönen gefangennehmen. Mag sein, daß der etwas blecherne Ton des billigen Instruments schuld hatte: Jedenfalls klang es wie aus einem nebligen, längst vergangenen England.
    »Donald, das war wunderbar! Ich wußte gar nicht, daß du Gitarre spielst!«
    »Tatsächlich? Dann glaubst du wohl auch, irgend jemand hätte zu Jesus gehen, ihm eine Gitarre geben können, und der hätte

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