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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph W. Bauer
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Besatzungsmächte verursacht, ist als Rechtfertigung zu hören, die Entnazifizierungspolitik der Alliierten sei nicht einheitlich. Die US -Armee greift in ihrer kurzen Besatzungszeit derart hart durch, dass sich die Franzosen mit überfüllten Lagern konfrontiert sehen – Diese Probleme lösen sich aber bald von allein, die Entnazifizierung wird auf Beschluss des alliierten Rates den österreichischen Behörden überlassen. Deren Drang nach Demokratie ist groß, ein Staat, der einem Teil der Bevölkerung die politischen Rechte unterschlage, sei auf dem falschen Weg, entscheidet die Mehrheit.
    Du tust geradezu so, als wären hier alle überzeugte Nationalsozialisten gewesen!
    Keineswegs. Mit überzeugten Nationalsozialisten hätte man im wahrsten Sinn des Wortes keinen Staat machen können, dazu bedurfte es der Mitläufer, und derer gab es genug. In den Wochen nach Kriegsschluss wurde das Verbotsgesetz ausgearbeitet, das dann in ganz Österreich im Februar 1946 in Kraft trat. Laut diesem Gesetz unterlagen alle Mitglieder der NSDAP und alle Parteianwärter der Registrierungspflicht. Dabei kam zutage, dass Tirol mit über 45.000 NSDAP -Mitgliedern die Spitzenposition unter den österreichischen Bundesländern einnahm. Ein Jahr später wurde das Gesetz novelliert, zwei Gruppen von Registrierten gab es nun, die Belasteten, also jene, die eine Funktion in der Partei, SS , SA , Gestapo und anderen Organisationen hatten, und die Minderbelasteten, sprich die einfachen Parteimitglieder. Letzteres zu sein hieß, durch die Hintertür der Geschichte zu verschwinden. Ein Jahr nach der Novellierung waren über 90 Prozent der Registrierten als Minderbelastete eingestuft. Dass die von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen in ihrem Namen begangen wurden, interessierte kaum mehr. Obwohl – in den ersten Jahren nach Kriegsende ist den österreichischen Behörden der Wille, Verbrecher zu verurteilen, nicht abzusprechen. Dabei kommt es manchmal zu Formulierungen, bei denen man nicht weiß, ob sie aus sprachlichem Unvermögen oder aus Überzeugung entstehen. So gibt beispielsweise das Haus, in dem du wohnst, Folgendes zum Besten:
    Am 19. Juli 1945 hat der Wirt M. K. genug vom Gasthausleben und will in den Ruhestand treten. Die Wirtschaft soll seine Tochter übernehmen, sie sucht bei den Behörden um die Konzession an. Nun wird erst ihr Leumund, dann der ihres Vaters überprüft. Die Tochter erhält die Gewerbeberechtigung, denn am 7. August 1945 trudelt ein Brief bei ihr ein, in dem es wörtlich heißt: „Ihr Vater M. K. ist Mitglied der NSDAP seit 1938. Ansonsten wurde über M. K. in staatspolitischer und moralischer Hinsicht ebenfalls nichts Nachteiliges bekannt.“ Der Absender des Briefes ist das Polizeipräsidium Innsbruck.
    Was weiß das Haus in der Innallee 3 zu berichten, die Schule?
    Solange die Besatzungsmächte die Aufsicht haben, wird unter den Tiroler Lehrerinnen und Lehrern rigoros entnazifiziert, fast die Hälfte der einstigen Mittelschulpädagogen verliert die Stelle. Was sich mit ansteigender Unabhängigkeit der Landesbehörden ändert, denn „unter dem Druck der Sieger kam das Nationalsozialistengesetz zustande“, mahnt der Katholische Tiroler Lehrerverein , bemüht sich redlich um die Reintegration ehemaliger NS -Lehrkräfte. Die Institution der Aufklärung wird zur Bastion der Verdrängung, doch man hat Wichtigeres zu tun.
    Was sagt das ehemalige Bruderhaus, der spätere Kindergarten in der Innstraße?
    Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt hat ausgedient, die NSV -Kindergärten sind passé. Hände falten, Köpfchen senken, immer an den Hunger denken, Sprüche passen sich der Zeit an.
    Es herrscht Not in der Stadt, die Versorgungslage ist katastrophal. Zwischen den Häusern Getuschel, die Nahrungsmittelsituation sei zur Zeit der deutschen Herrschaft besser gewesen, schlimmer noch, auf die deutsche Besatzung ist eine erfolgt, die nicht einmal deutsch spricht – Marokkaner, Neger. Innsbruck darf nicht zum Klein-Casablanca werden, liegt dieser Spruch den Vorfahren des Immobilienmaklers, von dem wir sprachen, auf den Lippen? Immer wieder der Blick hinauf zum Bergisel, die Gedanken zurück ins Jahr 1809. „Ici pays ami“ – hier ist befreundetes Land?
    Gleichwohl, Franzosen sind keine Amerikaner, als die in die Stadt kommen, gibt es Plünderungen, Vergewaltigungen, Übergriffe zuhauf. Ferner geben sich die Franzosen nicht als Sieger, sondern als Befreier, das stärkt die Opferrolle der Heimischen

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