Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Haus, in dem du wohnst. Schon die Kapitulation Schuschniggs beim Treffen mit Hitler 1936 war den Menschen ein deutliches Anzeichen und wirkte sich vor allem auf die Stützen des austrofaschistischen Systems demoralisierend aus, weiß das Katzung-Haus zu berichten und wundert sich ein wenig über die Blauäugigkeit der Carmella Flöck – hat sie beim Einmarsch der Deutschen wirklich Widerstand erwartet?
Die Häuser dieser Stadt geben zu Protokoll: Bereits am 20. Februar 1938 halten an die 3.000 Nationalsozialisten einen Festumzug in Innsbruck ab. Gleiches wiederholt sich am 10. und 11. März, nachdem Schuschnigg am 9. März mit Heldenpathos – „Rot weiß rot bis in den Tod!“ – in den Innsbrucker Stadtsälen eine Volksbefragung für den 13. März angekündigt und Hitler damit unter Druck gesetzt hat. Da die Vaterländische Front aber längst von NS -Sympathisanten unterwandert ist und weder Schuschnigg noch die hiesigen Behörden zu energischem Handeln willens oder fähig sind, beherrschen die Nazi-Befürworter am Nachmittag des 11. März die Innenstadt. „Ein Volk – Ein Reich – Ein Führer“, hallt es durch die Maria-Theresien-Straße.
Viele Innsbrucker Kaufleute scheinen sich früh genug auf den Machtwechsel vorbereitet zu haben, schon am 11. März grenzen sie sich von Plagiat-Erzeugern ab, inserieren stolz, die offizielle Hakenkreuznadel sei nur bei ihnen erhältlich, erzählen die Häuser in der Maria-Theresien-Straße 8, 11, 20 und 27, die Häuser am Burgraben 4 und 8 und in der Claudiastraße 24, in der Leopold- und Andreas-Hofer-Straße 18; ferner sind die Originale in der Salurner Straße 18 und 20 im Sortiment, auch der Händler in der Straße der Sudetendeutschen 1 hat sich frühzeitig mit Hakenkreuznadeln eingedeckt. Gleich am nächsten Tag schließen sich zwei Häuser an, hört man aus der Anichstraße 5 und der Wilhelm-Greil-Straße 12 sagen. Auch der Zeitungsverkäufer in der Innstraße 9 wird aktiv, erzählt das einstige Haus des Orgelbauers Gemelich, „Nationalsozialisten, kauft euren Völkischen Beobachter nur hier!“ lautet die Annonce.
Am 11. März um 14 Uhr 45 sagt Schuschnigg die Volksbefragung ab, die Massen, „Heil Hitler!“ skandierend, wälzen sich durch die Stadt. Die Tiroler scheuen den Regen nicht, es herrschen unwirtliche Bedingungen, die Menschen heizen sich mit Naziliedern ein. Am frühen Abend tritt der Führer des Ständestaates mit den Worten „Gott schütze Österreich“ zurück, gegen 22 Uhr beauftragt Bundespräsident Miklas Seyß-Inquart mit der Regierungsbildung. Drei Stunden zuvor verlässt der Tiroler Landeshauptmann das Landhaus, laufen Teile der Polizei über und statten sich mit NS -Binden aus, um ihren Dienst zu versehen.
In dieser Nacht denkt keiner an einen Kinobesuch, wer will Tarantella , Musik für Dich oder in den Kammerlichtspielen eine Ballkarte sehen? Am nächsten Tag sieht das ganz anders aus, in den Kammerlichtspielen steht „Adolf Hitler spricht im Deutschen Reichstag am 20. 2. 1938“ auf dem Programm.
Doch zurück zum 11. März: Die Straßen sind verstopft, eine halbe Stunde brauchen die einstigen illegalen Tiroler Naziführer, um sich zum Landhaus durchzuschlagen, gegen 21 Uhr treffen sie dort ein. Eine Stunde bevor Miklas den Nationalsozialisten Seyß-Inquart zum neuen Bundeskanzler ernennt und ungefähr zur gleichen Zeit, als Hitler den Einmarschbefehl gibt, weht die Hakenkreuzfahne vom Landhaus. Unverzüglich setzen erste Verfolgungen ein, es kommt zu Ausschreitungen, Verhöhnungen, Gegner des Regimes werden auf offener Straße verprügelt, manche von ihnen in den Suizid getrieben.
„Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um das zu schildern, was Innsbruck gestern erlebte“, ist in den Innsbrucker Nachrichten vom 12. März 1938 zu lesen und: „Es war Innsbrucks größter Tag.“
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Erinnerst du dich noch an deine Ankunft in Innsbruck vor 50 Jahren? Wie hast du nicht hinaufgeschaut auf den Balkon des Hotel Tyrol. Am 5. April 1938 zeigt sich dort Adolf Hitler der auf dem Bahnhofsplatz wartenden Masse. Der Führer logiert im Tyrol, auf dessen Fassade ein riesiger Reichsadler prangt. Grund für seinen Besuch ist die für den 10. April 1938 anberaumte Volksabstimmung, Hitler befindet sich auf Werbereise, die Schüler freut’s, sie haben am 5. und 6. April frei.
Was die Häuser von diesem Tag erzählen, gleicht der Beschreibung eines Volksfestes. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, der Ablauf ist bis auf die Beflaggung
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