Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
eingewiesen. Ein anderer Häftling informiert über den Lageralltag: Um sechs Uhr Wecken, dann Morgenappell, das Aufrufen der Nummern, wer sich nicht gleich meldet, bekommt Tritte gegen das Schienbein; um sieben Uhr Ausrücken gegen Innsbruck, arbeiten bis zwölf, eine Viertelstunde Pause und Steckrübensuppe, um fünf Uhr zurück ins Lager.
Misshandlungen sind an der Tagesordnung, Essensentzug kommt nicht selten vor. Das „Rundenlaufen“ auf dem Lagergelände gilt als Strafe für mangelnde Arbeitsleistung, die Delinquenten werden mit Stockhieben angetrieben. Daneben gibt es die „Bunkerstrafe“, in einem Raum ohne Fenster werden die Häftlinge eingesperrt. Die Grausamkeit hat noch andere Register, das „Kaltbaden“, meist im Winter vorgenommen: Auf die Lagerinsassen wird ein Wasserstrahl gerichtet, bis sie blau vor Kälte zusammenbrechen, danach bei Minusgraden über Nacht in den Bunker.
Gab es auch Todesurteile?
In einer Quelle heißt es:
„Es wurden nun sieben Stricke an den Dachbalken der Holzhütte festgebunden und je Mann zwei Stühle aufgestellt.“ Nach der Hinrichtung führte man die Lagerinsassen an den sieben Gehängten vorbei –
Wusste denn die Bevölkerung, was in diesem Lager vor sich ging?
Wenn sie die Zeitung gelesen hat, ja. Wie gesagt, man kommandiert die Häftlinge zu Räumarbeiten in der Stadt ab, so auch nach dem ersten Bombardement. Als die Inhaftierten abends ins Lager zurückkommen, werden sie untersucht, sieben Männern wird das zum Todesurteil. Am Tag nach dem Angriff schreiben die Innsbrucker Nachrichten unter dem Titel Plündern kostet das Leben : „Sie haben sich unter anderem Lebensmittel und Bekleidungsgegenstände angeeignet.“
Auf den Tag genau ein Jahr nach diesem Artikel erfolgt am 16. Dezember 1944 der schwerste Bombenangriff auf Innsbruck, bei dem neben dem Hauptbahnhof auch die Innenstadt arg in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Sprengsatz durchschlägt das Querschiff der Dompfarrkirche, das Rathaus, die Stadtsäle, das Landesgericht –
22 Angriffe werden zwischen 1943 und 1945 geflogen, sie kosten 504 Menschen das Leben, von den gut 25.000 Wohnungen sind 60 Prozent mehr oder weniger zerstört. Als die amerikanischen Truppen am 2. Mai 1945 mit der Bombardierung und völligen Zerstörung Innsbrucks drohen, wenn die Nationalsozialisten die Stadt nicht übergeben, formiert sich die Widerstandsbewegung um Karl Gruber zum entscheidenden Schlag.
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In der Zeit von 1947 bis 1954 wird ein Großteil der öffentlichen Gebäude wiederhergestellt, das Gerichtsgebäude, die Klinik, das Anatomische Institut, das Hochhaus der Stadtwerke, die Hotels Europa und Tyrol, der Dom und die Jesuitenkirche, der Hauptbahnhof und die Stadtsäle. 1957 sind auch die Neubauten in der Altstadt an der Ecke Pfarrgasse – Hofgasse und in der Seilergasse 7 im ehemaligen Stadtschreiberhaus vollendet. Das Haus Ecke Seilergasse – Kiebachgasse ist im Rohbau fertiggestellt; Ruinen aber noch am Burggraben und in der Museumstraße, ferner in der Leopoldstraße; auch dort, wo 1629 eines der ersten freistehenden Theater nördlich der Alpen entstand, das heutige Kongresshaus, 1957 ein Trümmerhaufen.
Jener Mann, der am 30. Juni 1938 einen Antrag um Aufnahme in die NSDAP -Ortsgruppe Imst stellte und am 1. Jänner 1941 unter der Nummer 9.566.289 in die Partei aufgenommen wurde, führt das Land, Innsbruck wird Olympia-Stadt, was will das Tiroler Herz mehr. Zwar ist die Südtirolfrage noch lange nicht geklärt, aber –
„Schütze, Herr, mit starker Hand unser Volk und Vaterland! Ihr Jungen, schließt die Reihen gut, ein Toter führt uns an.“ Diese Lieder sind verstummt, erzählt das Haus in der Innallee, es wird wieder anderer gedacht und „Zu Mantua in Banden“ gesungen.
Die Tiroler Schriftsteller, wie reagieren sie?
Weiter im Text, so muss ihr Motto lauten, sie setzen ihre Arbeit nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs fort, die Autoren der 30er-Jahre sind auch die der Nachkriegszeit. Mach einen Spaziergang durch Innsbruck und du lernst einiges über den Umgang eines Landes mit seiner Vergangenheit: Karl-Schönherr-Straße, Rudolf-Greinz-Straße, Oberkoflerweg, Reimmichlgasse –
Karl Paulins Die schönsten Sagen aus Nordtirol erfahren mehrfache Neuauflagen, bis 1950 findet sich in dem Werk die Legende um den Ritualmord der „jüdischen Kaufleute“ völlig unkommentiert. Paulin wird 1951 Ehrenmitglied der Universität Innsbruck, sechs Jahre später Professor honoris causa
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