Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
geistig umnachtet war, wird von der italienischen Justiz in Abwesenheit zweimal zu lebenslanger Haft wegen Beteiligung an einer Vergeltungsaktion der Waffen- SS , bei der der Ort Caviola niedergebrannt und 40 Menschen ermordet wurden, verurteilt. In Deutschland, wo er in Bielefeld unter richtigem Namen lebte, saß er von April 1961 bis März 1962 in Untersuchungshaft, ehe man das Verfahren einstellte.
Und jener Mann, der für zahllose Verfolgungen verantwortlich war, Todesurteile gegenüber Zwangsarbeitern anordnete und Egon Dubsky kaltblütig ermordet hat? Gestapochef Werner Hilliges, von einem Alliiertengericht 1948 zu lebenslanger Haft und Zwangsarbeit verurteilt, wird zur Feier des Staatsvertrags vom Bundespräsidenten amnestiert.
Das kann nicht sein!
Nur die Folge einer Politik der Lügen, die, um Wählerstimmen zu keilen, mit dem Teufel paktiert. „Die ÖVP werde nicht eher ruhen, bevor nicht alle Ausnahmebestimmungen, die die ehemaligen Nationalsozialisten zu verfemten Staatsbürgern machen, gefallen seien“, erklärt der österreichische Nationalratsabgeordnete Alfons Gorbach Ende September 1949. Und „einzig allein wir Österreicher entscheiden, wann wir unsere Geschichte liquidieren“, sagt schon sieben Jahre nach Beendigung des Krieges Ferdinand Graf, ÖVP -Politiker, von 1956 bis 1961 erster österreichischer Verteidigungsminister der Zweiten Republik. Da möchte die SPÖ nicht nachstehen, Oskar Helmer glaubt Anfang der 50er-Jahre die Zeit für eine Weihnachtsamnestie gekommen, auf seiner Liste der zu Begnadigenden stehen mitunter Mörder. Gar nicht erst in die Verlegenheit nachträglicher Amnestiegesuche will die Vorläuferpartei der heutigen FPÖ geraten, der VdU fordert überhaupt die Reaktivierung sämtlicher ehemaliger Nazi-Richter.
Zu jener Zeit ist längst der Kommunismus der Feind, Franz Hofer kann das gemütlich in Zeitung und Fernsehen verfolgen. Drei Tage nach seinem letzten Auftritt in den Innsbrucker Nachrichten wird er in Hall in Tirol von der US -Armee verhaftet. 1948 gelingt ihm die Flucht, er taucht in Deutschland unter. In Österreich im Juni 1949 in Abwesenheit zum Tod verurteilt, setzt Hofer seine gelernte Arbeit als Kaufmann in Mülheim an der Ruhr fort, zuletzt unter seinem wirklichen Namen. Er stirbt 1975 eines natürlichen Todes, ohne je zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
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Erinnerst du dich an den Namen Robert Nissl?
Ja doch, er war der Besitzer des Hauses, in dem ich wohne, wie kommst du jetzt auf ihn?
Die Familie Nissl gibt einiges an Stoff her, das beginnt schon beim Vater Robert Nissls, der als Handelsmann und Waffenlieferant im Krieg den Grundstein für den späteren Reichtum legte.
Von welchem Krieg sprichst du?
Vom Sardischen Krieg im Jahr 1859, auch zweiter italienischer Unabhängigkeitskrieg genannt. Zwar geht der für die österreichischen Truppen mit der Schlacht von Solferino verloren, Nissl aber erwirtschaftet ein Vermögen, das ihm den Ankauf des Schlosses Büchsenhausen im Jahr 1865 erlaubt. Just in dem Monat, als der Krieg ausbricht, wird Robert Nissl am 16. Mai 1859 geboren. Etwas mehr als ein Jahr später kommt seine Schwester Sofie zur Welt. Sie heiratet später Max Burckhard, der kurz nach der Eröffnung des Wiener Burgtheaters Direktor wird. Sofies Mann öffnet das Theater modernen Strömungen, gilt ferner als Mentor der Alma Mahler-Werfel. Er soll ihr Wäschekörbe voll Literatur gebracht haben, schulte als Antisemit jedoch auch ihre Judenfeindlichkeit. Ein einst bekannter Maler entstammt ebenfalls der nisslschen Familie, er heißt Rudolf und wirkt ab 1910 in München.
Das mag alles sein, aber –
Fest steht, Robert Nissl, verheiratet mit Friederike, geborene Miller, gilt als Wohltäter der Stadt, was den Umgang mit seiner Person nicht unbedingt erleichtert. In einer Publikation aus dem Jahr 1951 ist zu lesen, dass der Schlossherr nicht nur einer der reichsten Männer der Innsbrucker Gegend war, sondern sein Geld auch uneigennützig für diverse Wohltätigkeiten ausgab, so zum Beispiel für das städtische Kinderspital. Auch werden es ihm die Höttinger ewig danken, dass er ihnen einen schönen großen Baugrund für ihre Kirche schenkte, worauf er in Anerkennung dieser besonderen Verdienste vom Gemeindeausschuss einstimmig zum Ehrenbürger ernannt wurde. Dasselbe widerfährt ihm in Innsbruck Igls, wo er einst den Großgasthof Altwirt, das jetzige Sporthotel erbauen ließ.
Ein honoriger Mann, der Nissl!
Ja, aber auch einer, der einmal
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