Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
für einen Witz sorgte, über den die halbe Stadt lachte.
Du meinst –
So ist es. Robert Nissl gehörte der Bierwastl.
Das darf doch nicht –
Wie gesagt, im September 1933 wird das Lokal behördlich gesperrt, Nissl verliert die Gewerbekonzession, fühlt sich ungerecht behandelt, habe er doch von den Machenschaften seines Pächters nichts geahnt.
Das ist lächerlich, wo jeder in der Stadt wusste, was in dem Lokal los war!
Nissl bemüht sich bis Ende 1937 um Wiedererlangung der Konzession, dann reißt der Gewerbeakt Bierwastl ab und beginnt erst wieder im Jahr 1949.
Was soll das heißen, der Gewerbeakt reißt ab?
Generell ist die Aktenlage schütter, in der Herrengasse vernichtet die Gestapo alles Material, ehe sie sich am 3. Mai 1945 auflöst und die ehemaligen Mitarbeiter sich zum Teil noch einen Vorschuss auszahlen, um dann in einem Autokonvoi Richtung Kitzbühel aufzubrechen und unterzutauchen.
Komm bitte auf Nissl zu sprechen!
Robert Nissl erlebt das Ende des Krieges nicht mehr. Er stirbt am 17. Dezember 1944, einen Tag nach dem schweren Bombenangriff auf Innsbruck. Als unmittelbare Todesursache des 86-Jährigen wird Herzschwäche angegeben. Und an sich ist es müßig, tiefer nachzuforschen, machte einen nicht ein dem Gewerbeakt beigefügtes Anwaltsschreiben vom 2. Oktober 1950 neugierig. In diesem Schriftstück heißt es, Nissl habe „vor ungefähr 12 Jahren den Bierwastl an die Stadtgemeinde Innsbruck verkauft“. Eine doch etwas vage Angabe, gerade was das Jahr 1938 betrifft.
Aber es muss doch Akten geben – im Stadtmagistrat?
Der Weg dorthin ist vergeblich, das Anliegen um Akteneinsicht bezüglich der Jahre 1938 bis 1945 wird einem verwehrt.
Ich bitte dich, wir leben im Jahr 2007, warum rückt man die Akten denn nicht heraus?
Im Interesse des Datenschutzes.
Mach einen Punkt! Welche Interessen werden hier geschützt und wie viele Jahre der Rücksichtnahme müssen verstreichen, um die Rücksichtslosigkeit von einst aussprechen zu dürfen?
Dass Nissl Rücksichtslosigkeiten beging, ist nicht bezeugt. Nachweisen lässt sich lediglich, dass die hiesigen Behörden „aus staatspolizeilicher Sicht“ von einer Rückerstattung der Gewerbekonzession für Nissl absehen, zumal der auch „keine Änderung seiner Haltung zur derzeitigen Regierung erkennen lasse“, wie aus einem Schriftstück aus dem Jahr 1936 hervorgeht.
Kann man denn nicht überprüfen, ob Nissl nach dem Anschluss den Bierwastl zurückbekam?
Das lange vergeblich gesuchte Haus in der Maria-Theresien-Straße 28 könnte bei der Suche nach Antwort helfen.
Du meinst jenes Haus, das Johann Stadlmayr einst vom Landesfürsten erhielt und das später abgerissen wurde?
Ja. Der Schlossherr hat sich mit seiner Bautätigkeit ins Innsbrucker Stadtbild eingeschrieben. Er war reger Auftraggeber für Neu- und Umbauten – lässt sich in den Bauakten etwas über ihn in der „ungefähren“ Zeit finden? Diese Akten sind öffentlich zugänglich. Und tatsächlich – „Der Besitzer des Objekts Innrain No 10, Bierwastl, beabsichtigt ein großes Restaurant zu errichten“, neben dem damals üblichen Gruß die Unterschrift Robert Nissls, Ort und Datum: Büchsenhausen, 8. Dezember 1938. 1939 dann erneut Eingaben, aus ungefähr zwölf Jahren werden elf und –
„Der Käuferin ist bekannt, daß die Kaufliegenschaft vom Reichstatthalter in Tirol und Vorarlberg auf Grund des Bescheides des Reichstatthalters in Österreich vom 29. Juli 1939 zur Unterbringung öffentlicher Dienststellen in Anspruch genommen wurde.“
So steht’s im Kaufvertrag zwischen der Stadt Innsbruck und Robert Nissl vom 19. Februar 1941. Das „Ungefähr“ lässt sich sehr genau festlegen. Doch nicht schwammige Formulierungen von damals will ich verurteilen, nicht die Amnesie einer Generation, die als einzigen Ausweg gegen Schlafstörungen die Flucht in den Gedächtnisschwund sah – denn unser Glück, nicht in jene Zeit hineingeboren zu sein, verbietet es uns, ihr Handeln zu bewerten –, sondern jene, die heute noch alles im Diffusen halten wollen, klage ich an. Sie sind die Erben einer Politik, die nach 1949 eingesetzt und an der auch die Diskussion um einen österreichischen Bundespräsidenten wenig geändert hat. Der war genauso wenig Kriegsverbrecher wie das Parteimitglied 9.566.289, beide aber zeichneten einen Weg vor und wurden zu Lehrern, die auf die Stimmen gehorsamer Schüler rechnen konnten, die ihr Geschichtsbild in die Wahlurnen warfen. Freilich, hätten die
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