Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
politischen Kräfte der ersten Nachkriegszeit in der Mehrheit der Wähler Menschen gesehen, die sich nicht dem Opfermythos hingaben und voll Abscheu dem Nationalsozialismus den Rücken kehrten, wäre dieser Weg nicht möglich gewesen.
Was geschah mit dem nisslschen Besitz, gab es Erben?
Als solche werden seine Frau und die sechs Kinder eingesetzt. Eines davon ist verheiratet mit einem Mann, von dem wir vorhin schon sprachen, es ist der Schilehrer.
„1938 Lüge und Wahrheit. Weder Opfer noch Schuld“, so lautet der Titel einer Broschüre, die fünfzig Jahre nach dem Anschluss erscheint und für deren Inhalt und Verbreitung eine Burschenschaft verantwortlich zeichnet, die sich den Wahlspruch „Dem Freunde das Herz, dem Feinde die Stirn“ auf den Treuewimpel geheftet hat. In dem Heftchen kommt mehrere Male der Begriff Wiedervereinigung vor, ein Begriff, mit dem die österreichischen Nationalsozialisten per Gesetzestext vom 13. März 1938 den Anschluss legitimierten. Zwar lässt die Broschüre durchaus wissen, dass der Anschluss heute nicht mehr aktuell sei, aber alleine der Rückgriff auf die nationalsozialistische Ausdrucksweise verschlägt einem die Sprache. Obwohl – muss man sich wirklich wundern, wo sich die für den Inhalt Verantwortlichen doch zur fundamentalistischen Spitze österreichischer Burschenschaften zählen dürfen?
Sie sind mitunter in ihrer Denkart so radikal, dass gar deutsche Burschenschaften wiederholt Kritik an ihrem Kurs üben, erzählt die Studentenbude. Klar, früher war das anders, in den 30er-Jahren konnte sich die Brixia des Zuspruchs ihrer eindeutig nationalsozialistischen Ausrichtung sicher sein. Gewiss auch der Ehrenwinkelträger der SS , Sohn eines Innsbrucker Schloss- und Brauereibesitzers, oder die Profiteure der „Arisierung“ und all die Verkäufer offizieller Hakenkreuznadeln, die in den Archiven des Datenschutzes Namenlose bleiben. Was sagen die Häuser dieser Stadt dazu?
Sie halten nichts von der Depersonalisierung der Geschichte, sie sprechen nicht vom Zeitalter Maximilians, sie nennen Konz Speiser und Niklas Türing, sie sprechen nicht vom Aufblühen des Handels, sondern von Samuel May und Michael Wagner, sie verallgemeinern Schicksale nicht und kommen nicht auf die Idee, vom Holocaust zu sprechen, sie sagen Ilse Brüll, Alois Hermann, Flora Bauer.
Ein Haus bekam ich vor die Nase gesetzt, ein Haus ums andere, bis mein Blick zugemauert war und ich ein Gegenüber erfand, um etwas sehen zu können. Ich trete aus dem Haus, das einst Paul Gassler gehörte, sehe die Brücke und dort drüben auf der rechten Innseite, ursprünglich Prämonstratenser Chorherrenland, die heutige Altstadt. Die Innstraße hinab, vorbei beim Orgelbauer Gemelich, dem Ansitz Rainfels, ich sehe das ehemalige Zuchthaus, das indische Restaurant. Gleich bin ich zu Hause, halte kurz inne vorm türingschen Portal, atme tief durch – und werde plötzlich ins Alphabet der Häuser zurückgepfiffen. Nur ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, das Haus Innstraße 32, es war mir noch gar nie wirklich aufgefallen, dabei kann ich es täglich vom Schlafzimmerfenster aus sehen. Dieses Haus, es ruft mir den Namen Hermine Goldfarb zu. Die 1884 in Galizien Geborene wurde am 30. Jänner 1944 nach Auschwitz deportiert und dort am 6. Februar 1944 ermordet.
Dank
Herzlich bedanken möchte ich mich beim Team des Stadtarchivs Innsbruck, allen voran bei Roland Kubanda, ohne den die Arbeit an diesem Buch nicht möglich gewesen wäre. Dank auch an Roland Sila vom Ferdinandeum Innsbruck und Ellinor Forster vom Institut für Geschichte. Anregungen, Tipps und Ratschläge sowie Auskünfte habe ich ferner Thomas Albrich und Martin Achrainer vom Institut für Zeitgeschichte zu verdanken, nicht zuletzt Horst Schreiber, der bereitwillig auf meine Fragen einging. Gerlinde Tamerl sei Dank für ihre kunsthistorischen Erläuterungen, Toni Wechselberger für seine Informationen zum Gasthof Innbrücke und Innkeller, Florian Schneider für den „photographischen“ Blick und Reinhold Embacher für seine Geduld, das „Häuserprojekt“ zu begleiten. Merci bien den Häusern, die mich zuhören ließen!
Christoph W. Bauer
Innsbruck, Juli 2007
Quellenverzeichnis
Stadtarchiv – Stadtmuseum Innsbruck
Gewerbeakten
Bauakten
Totenbeschau-Protokolle 1944
Theresianischer Kataster Innsbruck 1775
Adress- und Telefonbücher, diverse Jahrgänge
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
Innsbrucker
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