Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Schindler, Josef Brüll, Frau Anna Neumann, Frau Kirchlechner und deren Vater Alois Hermann und Abraham Leibl dabei waren.“
Brüll und die Genannten müssen zunächst drei Stunden lang in Hab-Acht-Stellung scharf an der Mauerkante mauerstehen:
„Dauernd gingen SS -Leute auf und ab und beschimpften uns. Es ging zu wie in einem Tollhaus. Gegen 9 Uhr wurde der neben mir stehende Abraham Leibl von einem der Gestapo-Leute dauernd mit kurzen Faustschlägen auf die Kinnlade traktiert.“
Leibl, 78 Jahre alt, Besitzer eines Weiß- und Wirkwarengeschäfts in der Leopoldstraße 14, bricht unter den Hieben schließlich zusammen. Verheiratet ist Abraham Leibl mit Jente, das Ehepaar hat zwei Kinder, Regina und Arthur. Noch im September 1938 wird das Geschäft in der Leopoldstraße gelöscht. Abraham und Jente Leibl werden später in Maly Trostinec ermordet, ihre Tochter Regina im deutschen Generalgouvernement Polen getötet.
Auch Rudolf Brüll wird an jenem Septembertag im Jahr 1938 geschlagen, bis er ohnmächtig niedersinkt. Als er wieder aufwacht, werden er und die „Partie“ in den ersten Stock des Gebäudes geführt, wo ihnen SS -Oberst Hilliges mitteilt, dass sie „ehestens von hier zu verschwinden haben. Wer sich weigert, wird eingesperrt und kommt ins KZ .“
Und wieder beginnt das ABC des Entsetzens, führt in die Anichstraße 4, wo sich das damals stadtbekannte Modegeschäft Stiassny & Schlesinger befindet, ein Betrieb, der wenige Wochen nach dem Anschluss „arisiert“ wird. Gleich nebenan und quer gegenüber des Möbelhauses Brüll führt seit 1917 die Familie Hacker einen Tuchladen.
Samuel Hacker, der in Ungarn geborene Firmengründer, stirbt 1931, sein Sohn Erich, gebürtiger Innsbrucker, übernimmt das Geschäft in der Anichstraße 6. Er wird wie Rudolf Brüll im September 1938 von der Gestapo verhaftet, verweigert die Unterschrift zum Verkauf seiner Firma, muss dafür drei Monate einsitzen. Während dieser Zeit wird seine Wohnung in der Speckbacherstraße 23 beschlagnahmt. Rudolf Brüll, der Hacker nach der Entlassung Quartier gibt, berichtet:
„Er entblößte seinen Oberkörper und war am Rücken erbärmlich zerschlagen. Der Rücken war voll von blauen Striemen und offenen Stellen, die meiner Meinung nach von Peitschen oder Ochsenziemern herrührten.“
Erich Hacker muss mit seiner Mutter Leontine nach Wien übersiedeln, gelangt von dort nach London. Seine Mutter wird 1941 von Wien nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Am Burggraben 23 hat Karl Feil ein Geschäft, auch er muss Innsbruck verlassen, überlebt in seiner Geburtsstadt Wien, wo er sich zeitweise in einem Kartoffelkeller versteckt.
Unter Eduard Schütz wird das Café München in der Erlerstraße 17 einem Umbau unterzogen, der die Presse jubeln lässt und das von Schütz 1918 übernommene Haus zum gesellschaftlichen Treffpunkt Innsbrucks macht. Aufgrund der Folgen der Wirtschaftskrise wird das Lokal in den 30er-Jahren zwangsversteigert, der einstige Besitzer geht 1936 nach Wien. Sechs Jahre später deportiert man Eduard Schütz nach Polen, wo er in Majdanek ermordet wird.
In der Fuggergasse 2 drückt der in Innsbruck stets grassierende Antisemitismus schon in den 20er-Jahren auf das Geschäft des Ludwig Mayer, als der Gemeinderat 1919 beschließt, Feuerlöschgeräte nur noch bei arischen Geschäften zu kaufen. Da war Mayer, als Offizier der Reitenden Tiroler Kaiserschützen mehrfach verwundet und aufgrund seiner Tapferkeit ausgezeichnet, erst kurz aus dem Weltkrieg zurück. 20 Jahre später sitzt er in Gestapo-Haft, während das Warenlager seines Betriebs zu Alteisenpreisen verschleudert wird. Völlig mittellos übersiedelt Mayer, der sich früh der Widerstandsgruppe Freiheit für Österreich angeschlossen hat, nach Wien. Dort wird er 1940 aufgegriffen und ins KZ Theresienstadt gebracht, von wo man ihn nach dreijähriger Haft nach Auschwitz deportiert. Ludwig Mayer, geboren am 6. Dezember 1884 in Innsbruck, wird 1944 ins Gas geschickt. Sein Sohn Heinz überlebt das im April 1945 befreite KZ Buchenwald und engagiert sich bis zu seinem Tod im Jahr 1999 gegen antisemitische Umtriebe.
Das Schuhhaus zum Goldenen Dachl in der Hofgasse 2 gehörte Ludwig Löwensohn, er wurde in der Pogromnacht überfallen, musste auf Anweisung der Gestapo mit seiner Frau die Stadt verlassen. Unter den Altstadtlauben in der Herzog-Friedrich-Straße 22 befand sich auch das Geschäft des Salomon Baum. Der Besitzer des „entjudeten“ Betriebs starb 1942 im KZ
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