Im Angesicht der Schuld
ich Recht? «
» Es gibt vielleicht eine Spur, aber ich darf darüber nichts erzählen. «
» Dann frage ich auch nicht weiter, aber ich drücke di e D a u men, dass sie den-oder diejenige endlich finden. Gregor wird dadurch zwar nicht wieder lebendig, aber du kommst vielleicht zur Ruhe. «
» Die ganze Zeit über war ich der festen Überzeugung, dass ich Gewissheit haben muss, was dort oben auf dem Balkon gesch e hen ist. Heute Nacht ist mir jedoch der Gedanke gekommen, dass diese Gewissheit vielleicht gar nicht so erlösend ist, wie ich mir das vorstelle. Was ist, wenn ich den Grund, aus dem er hinuntergestoßen wurde, nicht nachvoll ziehen kann? Was ist, wenn dieser Grund ein Nichts ist im Vergleich zu Gregors Leben? «
Sie legte ihre Hand auf meine Wange und sah mich liebevoll an. » Mach dir nichts vor, Helen. Welches Motiv auch immer an jenem Abend dort oben eine Rolle gespielt hat –es wird immer ein Nichts bleiben im Vergleich zum Leben deines Mannes. «
D en gesamten Nachmittag über hatte ich versucht, Felicitas Kluge oder Kai-Uwe Andres zu erreichen. Ich hatte meine Nummer hinterlassen und um Rückruf gebeten, aber nichts geschah. Erst gegen neunzehn Uhr hörte ich endlich etwas. Die Kripobeamtin rief allerdings nur an, um mich zu vertrösten. Aus ermittlungstaktischen Gründen dürfe sie mir nichts sagen. Meinen Einwand, dass mein Versprechen nach wie vor gelte, überging sie. Sie könne mir nur so viel sagen, dass sich die Spur als viel versprechend erwiesen habe.
Mit dieser Aussage sollte ich die Nacht über zur Ruhe ko m men? Unmöglich. Ich sah mich schon schlaflos von Zimmer zu Zimmer wandern, als ich zum Telefonhörer griff. Mariele Nowak war zum Glück zu Hause.
» Haben Sie heute Abend schon etwas vor? «, fragte ich.
» Nichts, was sich nicht aufschieben ließe. «
Zehn Minuten später saß sie an unserem Küchentisch und füllte mir Salat, den sie mitgebracht hatte, auf einen Teller. Dazu gab es frisches Baguette.
» Etwas beschäftigt Sie, Frau Gaspary «, begann sie, kaum dass sie den ersten Bissen hinuntergeschluckt hatte.
» Es gibt eine Spur. «
» Na endlich! Zu wem führt sie? «
» Das ist noch nicht klar. «
» Sie dürfen nichts sagen, richtig? «
» Aber ich ersticke fast daran. Es ist, als würde Ihnen jemand ein paar Puzzlesteine vor die Nase legen, von denen Sie noch nicht einmal wissen, ob es alle sind, die Sie für das Gesamtbild brauchen. Vielleicht sind sie sogar vollzählig, aber Sie erkennen die Berührungspunkte nicht. Es ist zum Verrücktwerden. «
» Früher war ich im Puzzeln mal ganz gut. Wollen Sie es auf einen Versuch ankommen lassen? «, fragte sie mit einem hintergründigen Lächeln.
» Animieren Sie mich gerade dazu, mein Versprechen zu brechen? «
» Ich glaube ja «, antwortete sie, ohne zu zögern. » Und wenn ich länger darüber nachdenke, dann bin ich mir sogar ziemlich sicher. Wenn Sie mich jetzt fragen, ob mir ein Versprechen denn nicht heilig ist, dann kann ich nur sagen: Das kommt auf den Einzelfall an. «
Ich stand auf, holte Papier und Bleistift und schrieb aus der Erinnerung die zwei Seiten aus Gregors Kladde auf.
Barbara Overbeck: Beihilfe zum versuchten Betrug und unei d liche Falschaussage. Berufliche Folgen vermutlich ruinös.
Tonja Westenhagen: Das Wegschaffen von Leichenteilen ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit und wird mit einer Or d nungsstrafe belegt. Entgegen der verbreiteten Meinung unerheblich!
Flora Masberg: Nötigung!
Ich reichte ihr den Zettel und erklärte mit ein paar Worten, um wen es sich bei Barbara Overbeck handelte. Von Tonja Weste n hagen hatte ich ihr bereits erzählt und über Flora Masberg wusste ich nichts.
Ihr Blick wanderte konzentriert über den Zettel. Schließlich sah sie auf. » Nicht einfach. Entweder war das tote Mädchen das Opfer der beiden anderen Frauen … «
» Nach dem, was dort steht «, unterbrach ich sie, » geht es bei Tonja Westenhagen nur um das Fortschaffen einer Leiche. Da steht nichts von Mord oder Totschlag. Vielleicht war sie kein Opfer im juristischen Sinne. «
» Stimmt. Dann drücke ich es mal anders aus: Wenn nun eine der beiden anderen Frauen Tonja Westenhagens Leiche fortg e schafft hat und die andere davon wusste und dieses Wissen irgendwie ausgenutzt hat, dann ließe sich die Nötigung erkl ä ren. «
» Sie meinen, Flora Masberg ist Mitwisserin und hat Barbara Overbeck zu etwas genötigt? «
» Könnte doch sein, oder? «
Ich dachte darüber nach. » Dann
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