Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
Vom Netzwerk:
ich über ihren Besuch nachdachte, wurde mir b e wusst, dass sie bereits zum zweiten Mal auf ihre übliche Warnung vor allzu großen Hoffnungen verzichtet hatte. Beim Abschied hatte sie mich lediglich eindringlich angesehen und mir erneut das Versprechen abgenommen zu schweigen. Sollte das tatsächlich ein Hinweis dafür sein, dass sie endlich eine Spur sah und entschlossen war, sie zu verfolgen? Ich betete, dass nicht auch diese Spur in einer Sackgasse enden möge. Meine Intuition sagte mir, dass es keine weiteren Spuren geben würde.
    Den Rest des Tages verbrachte ich in einem Wechselbad der Gefühle. Mal versank ich in einer aus meinen bisherigen Erfahrungen gespeisten Resignation, dann wieder holte ich mir Felicitas Kluges aufgeregten Gesichtsausdruck vor mein inneres Auge. Für einen Moment hatte sie mich an einen Jagdhund erinnert, der Witterung aufnimmt.
    Je länger ich über alles nachdachte, desto stärker drängte sich eine Frage in den Vordergrund: War Gregors Kladde einfach nur unter das Kissen gerutscht, oder hatte er sie darunter versteckt? Angenommen, Letzteres traf zu, dann stellte sich die Frage, vor wem er diese Aufzeichnungen versteckt hatte. Vor mir? Das ergab keinen Sinn. Selbst wenn ich sie zu seinen Lebzeiten auf seinem Schreibtisch entdeckt und darin gelesen hätte, hätte ich damit nichts anzufangen gewusst. Vor Gregors Tod hatte ich keinen der drei Namen je gehört.
    In der Hoffnung, möglicherweise noch einen Hinweis zu finden, ging ich durch die Wohnung und sah unter sämtliche Sofa-, Sessel-und Stuhlkissen. Außer ein paar Krümeln fand ich jedoch nichts.
    Irgendwann rauschte mein Kopf so stark, dass ich beschloss, jeden weiteren Gedanken an die Kladde und die Ermittlungen der Kripo zu verdrängen. Meine Grübeleien würden nichts beschleunigen, sie erschwerten mir nur die Wartezeit. Ganz bewusst versuchte ich, auf andere Gedanken zu kommen, wobei Isabelle und Jana mir tatkräftig halfen. Nachdem meine Schw e ster am späten Nachmittag aufgestanden war, spielte sie eine Stunde lang so ausgelassen mit ihrer Nichte, dass ich mich mitreißen ließ. Als ich sie gegen sieben am Bahnhof absetzte, schlang sie die Arme um meinen Hals und drückte mich fest.
    » Pass auf dich auf, Schwesterchen «, sagte sie und drehte sich nach hinten zu Jana. » Bald kommt deine Lieblingstante wieder. Vielleicht kannst du bis dahin meinen Namen sagen. «
    » Wir werden ihn üben «, versprach ich mit einem Lächeln und winkte ihr zum Abschied.
    Zurück zu Hause machte ich Jana etwas zu essen und brachte sie danach gleich ins Bett. Mit dem Klang ihre r S pieluhr im Ohr ging ich ins Wohnzimmer und blieb dort verloren stehen. Einmal mehr wurde mir bewusst, wie groß die Lücke war, die Gregor hinterlassen hatte. Würde ich mich je daran gewöhnen, dass er nicht mehr bei uns war? Fröstelnd ging ich zum Fenster und sah hinaus.
    Mein Blick wanderte zum Himmel, aber er war wolkenve r han gen und gab nichts preis. Gerade wollte ich mich abwenden, als ich Joost entdeckte. Bewegungslos stand er unter der Laterne gegenüber unserem Haus und sah mich an. Dann hob er die Hand zum Gruß und ging langsam weiter. Ich sah ihm nach, wie er mit hängenden Schultern aus dem Lichtkreis der Laterne verschwand. Reichte es nicht, meinen Mann zu verlieren? Musste ich jetzt auch noch auf seinen besten Freund verzichten? Wütend wischte ich mir die Tränen fort. Wer hatte uns all das angetan? Würde er oder sie jemals dafür büßen müssen?
    Ich wollte mich gerade abwenden, als ich Annette aufs Haus zukommen sah. Sekundenlang erwog ich, ihr nicht zu öffnen, aber sie hatte mich bereits entdeckt. Widerstrebend trat ich in den Flur und öffnete die Tür.
    » Guten Abend, Annette «, sagte ich zurückhaltend.
    » Mich hast du wohl nicht erwartet, was? « Ihrer Stimme nach zu urteilen, hatte sie getrunken. » Habe ich euch den Abend verdorben? « Irritierenderweise klangen ihre Worte eher nach Schadenfreude als nach Bedauern.
    » Isa ist schon wieder fort. «
    Sie lachte verächtlich. » Wie scheinheilig du sein kannst. Ich rede nicht von deiner Schwester, sondern von meinem Mann. Glaubst du, ich bin blind? Ich habe ihn gesehen, gerade eben. Er ist vor deinem Haus stehe n g eblieben, hat dir zugewinkt und ist dann weitergegangen. Hätte er mich nicht kommen sehen, wäre er jetzt hier bei dir. Wahrscheinlich wartet er hinter der nächsten Ecke, bis ich fort bin. Aber glaube mir, ich werde nicht gehen. Diesen Abend werde ich ihm gründlich

Weitere Kostenlose Bücher