Im Angesicht der Schuld
Wenn mein Mann einen Mandanten da gehabt hätte, dann hätte er in jedem Fall seine Krawatte und sein Sakko anbehalten. «
» Es ist nie vorgekommen, dass er sich des einen oder des anderen entledigte? Vielleicht wenn es mal etwas heißer herging? «
» Nein, auf keinen Fall. In dieser Hinsicht war mein Mann etwas eigen. «
» Aha. «
» Ich weiß, was Sie jetzt denken … dass diese Tatsache einde u tig für einen Suizid spricht. «
» Es könnte durchaus ein Indiz dafür sein. Es könnte aber auch in eine ganz andere Richtung deuten. Dass ihm nämlich die Person, die ihn besuchte, vertraut war. In jedem Fall danke ich Ihnen für die Information, Frau Gaspary. «
Nachdem ich aufgelegt hatte, sah ich verwirrt ins Leere, bis Jana mich unsanft an ihre berechtigten Ansprüche erinnerte. Ich ging mit ihr ins Kinderzimmer, um sie anzuziehen. Nelli war gerade dabei, dort die Fenster zu putzen.
» Nelli, diese Bekannte, von der du gestern erzählt hast, die, die manchmal in der Isestraße aushilft … du hattest noch irgende t was über sie sagen wol len, als Frau Doktor Kogler dir das Wort abgeschnitten hat. «
» Ach, das. « Sie ließ den Lappen in den Wassereimer fallen und setzte sich auf die Leiter. » Sie meinten gestern, dass die Polizei bestimmt alle Leute im Haus befragt hätte. Martha haben sie aber ganz sicher nicht befragt. Sie ist eine Meisterin darin, sich zu verdrücken, wenn sie eine Uniform nur von weitem sieht. «
» Sie ist illegal hier? «
» Von Illegalität kann man nicht mehr wirklich sprechen, seitdem Polen in der EU ist, aber sie hat keine Arbeitserlau b nis. «
» Ist das vielleicht die Umschreibung von: Sie arbeitet schwarz? «
» Soll ich sie nun fragen oder nicht? «
» Frag sie! Bitte. «
W arum hatte Annette mir nur nichts von diesem Anruf gesagt? Mir wäre es tausendmal lieber gewesen, ich hätte aus ihrem Mund davon erfahren. Warum musste sie mir immer wieder das Gefühl geben, ich sei nicht stark genug für die Realitäten? Als wanderte ich ständig am Abgrund einer Depression. Als würde ich das Gleichgewicht verlieren, sobald mich nur der leiseste Windstoß berührte. Ich nahm mir vor, mit ihr darüber zu reden.
Nachdem ich eine Stunde mit Jana auf dem Spielplatz ve r bracht hatte, lieferte ich sie bei meiner Nachbarin ab und machte mich zur Peter-Marquard-Straße auf. Vor dem Haus von Beate Elverts blieb ich stehen und sah an der weißen Fassade des Altbaus hinauf, als mich plötzlich Skrupel überfielen. Hatte ich das Recht, in das Le ben dieser Frau einzubrechen? Hatte sie nicht bereits genug gelitten?
Trotzdem brauchte ich Antworten auf die Fragen, die Gregor betrafen. Erfüllt von schlechtem Gewissen schob ich meine Skrupel beiseite und stieß die Haustür auf. Auf ausgetretenen Treppenstufen ging ich in den dritten Stock. Vor der Wohnung s tür von Beate Elverts holte ich tief Luft und drückte die Klingel. Es dauerte nur Sekunden, bis ich von drinnen Schritte hörte. Als sich die Tür öffnete, nahm ich all meinen Mut zusammen und blieb stehen.
» Ja, bitte? « Es konnte nur Tills Mutter sein, die da vor mir stand. Ihr Kummer hatte sich tief in ihr Gesicht gegraben. Er blickte mir aus ihren Augen entgegen, hatte von ihrem Mund Besitz ergriffen und sich in die Farbe ihrer Haut geschlichen. Ihre aschblonden, schulterlangen Haare wirkten glanzlos. Beate Elverts sah aus, wie ich mich fühlte.
» Entschuldigen Sie … «, begann ich stockend. Ich räusperte mich. » Frau Elverts? «
Ihr Nicken war nur eine Andeutung. » Frau Gaspary, nehme ich an. «
» Woher …? «
» Franka hat mir eine E-Mail geschickt. «
» Sie haben noch Kontakt? Ich dachte … «
Sie sah mich unverwandt an, ohne die kleinste Regung zu zeigen. » Im Notfall schon «, sagte sie nach einem Moment des Schweigens. » Was wollen Sie von mir, Frau Gaspary? « Sie sprach meinen Namen aus, als gehöre er ihrer ärgsten Feindin.
» Mit Ihnen sprechen. «
» Wozu soll das gut sein? «
» Vielleicht trägt ein solches Gespräch zur Klärung der einen oder anderen Frage bei. Ich kann mir vorstellen, wie es in Ihnen aussieht, trotzdem … «
» Sie haben Ihren Mann verloren und nicht Ihr Kind. Wie wollen Sie sich da vorstellen, wie es in mir aussieht? Und welche Fragen wollen Sie mit mir klären? Wie es dazu hat kommen können, dass mein Sohn tot ist? Dass er nur vier Monate hat leben dürfen? Diese Fragen sind geklärt worden. Andere Fragen interessieren mich nicht. Deshalb gehen Sie jetzt
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