Im Antlitz des Herrn
interpretieren sollte, hakte aber nicht nach.
Sie hatten die Autobahn verlassen und die Innenstadtbezirke von London erreicht.
«Fahren wir zum HAF-Headquarter?», fragte Engel.
«Nein, wir haben für diesen Fall zwei Büroetagen in den Docklands gemietet. Da haben wir den Platz, den wir brauchen.»
«Für mich reicht ein kleines Büro.»
«Sie werden nicht alleine sein. Lassen Sie sich überraschen.»
***
Das Büro des Kardinalpräfekten lag im obersten Stockwerk des Palazzo del Sant’Uffizio. Di Lucca war bisher nur einmal in diesen Räumen gewesen, als er dem Kardinal als neuer Leiter der Informationsabteilung der Glaubenskongregation vorgestellt wurde. Wie alle Büros der «oberen Zwanzig» in der Kurie zeugte es von der jahrhundertelangen Tradition des jeweiligen Amtes. Di Lucca schätzte, dass die Antiquitäten in den zwei Sälen, die Kardinalpräfekt James Bartoni sein Büro nannte, auf einer Auktion eine höhere sechsstellige Summe erzielen würden. Das war indes undenkbar, denn der Vatikan trennte sich niemals von seinen Schätzen. Folglich waren die Dienstzimmer mit Möbeln, Teppichen, Wandbehängen und sonstigen Accessoires unterschiedlichster Stil- und Zeitepochen ausgestattet, die oft jeglichen praktischen Nutzen vermissen ließen. Bartonis Vorgänger war ein eifriger Schreiber und hatte einen massiven Eichenholzschreibtisch aus dem 19. Jahrhundert mitten in das Büro gestellt, den Bartoni genauso übernommen hatte wie ein modernes Stehpult. Offenbar hatte sich in den unendlichen Weiten der vatikanischen Lagerräume noch kein Stehpult befunden, sodass ein Neues angeschafft werden musste. Der einzige Tribut an die Neuzeit war das Telefon auf dem Schreibtisch, ein mausgraues Monstrum aus den frühen Siebzigerjahren. Eine Längswand des Raumes nahmen raumhohe Fenster ein, durch die man auf den apostolischen Palast und die Sakristei von St. Peter blickte. An der gegenüberliegenden Wand standen ein ausladendes Sofa aus dem 17. Jahrhundert, davor ein niedriger Tisch und zwei Biedermeiersessel. Das Einzige, was Bartonis individuellen Stil zeigte, war ein zwei Meter breites und fast einen Meter hohes Wandgemälde eines Landschaftsmalers aus dem 19. Jahrhundert. Es zeigte eine Gruppe von Menschen bei der Feldarbeit in der offenen Landschaft Missouris. Zuvor hatte dort ein Renaissancegemälde gehangen, das die Vertreibung der Händler aus dem Tempel veranschaulichte. Bartonis Amtsvorgänger hatte es nach seiner Wahl mit in den Papstpalast genommen, worüber der Kardinal keineswegs traurig war.
Als di Lucca, eskortiert von einem Schweizergardisten, das Büro betrat, befanden sich Bischof Legado und Kardinal Bartoni in einem angeregten Gespräch. Sie kannten sich seit vielen Jahren, und es verband sie mehr als die gemeinsame Heimat auf der anderen Seite des großen Teichs. Als Bartoni vor gut einem Jahr vom neuen Papst zu seinem Nachfolger im Amt des Kardinalpräfekten der Glaubenskongregation bestimmt wurde – nach dem Staatssekretär das wichtigste Amt der Kurie –, hatte er sofort Legado zu seinem Sekretär ernannt. Seitdem bildeten sie die amerikanische Achse im Vatikan, und nicht wenige orakelten, Bartoni sei selbst papabile. Er selbst verschwendete daran keinen Gedanken, denn erstens erfreute sich der Heilige Vater Gott sei Dank bester Gesundheit, und zweitens war er schon vierundsiebzig Jahre. Da würde man ihm dieses Amt in ein paar Jahren hoffentlich nicht mehr aufbürden.
Als der Gardist den Raum verließ, erhob sich Legado und sagte an den Kardinal gewandt:
«Du hast John di Lucca bisher nur kurz gesprochen und kannst dir kein Bild von ihm machen. Ich kann dir aber versichern, dass er ein äußerst fähiger Mitarbeiter ist und wir seinem Urteil in jeder Hinsicht vertrauen können.»
Jetzt erhob sich auch der Kardinal und streckte di Lucca die Hand entgegen.
«Guten Tag, Mr. di Lucca. Sie müssen etwas Besonderes sein, wenn Sie von meinem Freund William derart gelobt werden.»
Er bedeutete ihm, in einem der Sessel Platz zu nehmen, und fuhr fort:
«William hat mich über die bisherigen Erkenntnisse ins Bild gesetzt und mir seine große Besorgnis geschildert. Ich teile sein Unbehagen. Was gibt es Neues?»
Di Lucca war beruhigt, dass der Kardinal nicht zu den Abwieglern gehörte, sondern die Bedrohung ernst nahm. Also konnte er in sachlichem Tonfall berichten.
«Aufgrund Ihrer Intervention bei der israelischen Regierung, Exzellenz, suchte heute in den frühen Morgenstunden eine
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